Entfuhrt
du die Krankenhäuser angerufen?«
»Die hätten sich doch wohl bei mir gemeldet.«
Nour stimmte ihm zu.
»Sie hat also gesagt, dass sie nach Hause will?«, meinte Mike.
Er bereute sofort das Wort also , das klang so formell und anklagend.
»Ja.«
»Hat sie gesagt, wie sie nach Hause kommen wollte?«
»Ich vermute, sie wollte den Bus nehmen. Wir haben uns auf der Straße voneinander verabschiedet, und sie ist dann den Abhang heruntergegangen.«
»Allein?«
»Ja. Wir haben versucht, sie zum Mitkommen zu überreden, aber sie wollte unbedingt nach Hause.«
»Okay. Vielen Dank.«
»Sag ihr, sie soll mich anrufen, wenn sie auftaucht«, sagte Nour. »Damit ich weiß, dass alles okay ist.«
»Natürlich«, sagte Mike. »Bis dann. Tschüs.«
Ylva sah auf dem Monitor, dass Mike die Zeitung reinholte. Sie sah ihren Mann im Bademantel das Haus verlassen und die Zeitung aus dem Briefkasten nehmen, als wäre nichts geschehen.
Was glaubte er denn? Dass sie jemanden aufgerissen hatte oder betrunken bei einer Freundin auf dem Sofa eingeschlafen war?
Inzwischen musste er doch wohl jemanden angerufen und sich erkundigt haben?
Sie bemerkte hinter dem Wohnzimmerfenster eine Bewegung. Mike betrat gerade wieder das Haus, dann konnte das nur Sanna sein. Ihre Tochter war nur etwa hundert Meter von ihr entfernt und doch unerreichbar für sie.
Ylva stand mit Mühe vom Bett auf. Alles tat weh, und sie stank. Nach der Vergewaltigung hatte sie ins Bett gemacht,
sie war einfach liegen geblieben und hatte alles aus sich herauslaufen lassen. Sie hatte nicht geduscht. Sie weigerte sich. Sie weigerte sich, etwas in dem Gefängnis zu benutzen, in das man sie gebracht hatte. Das hätte Akzeptanz, Nachgeben bedeutet. Außerdem wollte sie sich von einem Arzt untersuchen lassen, der die Vergewaltigung dokumentieren sollte.
Sie stellte sich vor die Tür, ballte die Fäuste, hämmerte dagegen und schrie.
Die Schläge klangen gedämpft, als sei die Tür auf der anderen Seite gepolstert. Trotzdem muss auf der anderen Seite etwas zu hören sein, dachte sie.
Eine Waffe. Sie musste sich bewaffnen.
Ylva durchsuchte die Schubladen in der Kochnische. Plastikbesteck, ein Buttermesser, ein Käsehobel, ein Schneidebrett, eine Rolle Plastiktüten. Keine Messer, kein Metallbesteck, nicht einmal ein Dosenöffner. Der Hängeschrank über der Spüle war bis auf ein angebrochenes Paket Knäckebrot und ein Paket weiße Plastikbecher leer.
Sie durchsuchte das Badezimmer. Handtücher, Seife, Shampoo, Waschmittel, eine Haarbürste, Gleitcreme und Nagelfeilen aus Pappe. Nichts, was sie verwenden konnte. Sie verließ das Badezimmer und sah sich im Zimmer um.
Der Stuhl.
Wenn es ihr gelänge, den Stuhl zu zerschlagen, könnte sie eins der Stuhlbeine als Waffe verwenden, es der Person, die den Keller betrat, über den Schädel schlagen.
Sie packte den Stuhlrücken und knallte den Stuhl gegen
die Wand. Sie fuhr damit fort, bis eines der Beine einknickte und sie es vom Stuhl lostreten konnte.
Sie nahm das Stuhlbein, setzte sich auf das Bett und betrachtete es. Das Ende, an dem es abgebrochen war, war schmal und spitz.
Eine Waffe.
Mike wollte seine Mutter anrufen. Er wollte sie anrufen, damit sie es ihm so erklärte, dass er es verstand. Er versuchte, ein guter Mann zu sein, er strengte sich wirklich an, jeden Tag, dachte kaum noch an etwas anderes. War das vielleicht das Problem? Dieser übertriebene Wunsch, es ihr recht zu machen?
Mike fand, dass er das gut verbarg.
War er langweilig? Wahrscheinlich, oder ganz sicher. Trotzdem hatten sie ihren Spaß zusammen und unternahmen Dinge.
Warum tat sie das dann? Warum behandelte sie ihn so? Denn es war ja wohl nichts passiert? Natürlich konnte er das Krankenhaus anrufen. Er konnte sich erkundigen. Sicherheitshalber. Damit er es getan hatte.
Er ging ins Wohnzimmer und betrachtete seine Tochter. Sie war vollkommen in das, was sich auf dem Bildschirm abspielte, vertieft. Ein Zeichentrickfilm, brutal und hektisch und mit viel Gekreische.
Er ging in die Küche zurück und machte vorsichtig die Tür hinter sich zu. Dann rief er die Auskunft an und bat
darum, mit dem Krankenhaus verbunden zu werden. Die Vermittlung des Krankenhauses stellte ihn zur Notaufnahme durch. Er brachte etwas verlegen sein Anliegen vor und erhielt den Bescheid, eine Patientin namens Ylva Zetterberg sei nicht eingeliefert worden, und auch keine Frau in ihrem Alter.
Die Frau, mit der er sich unterhielt, bemerkte, wie wenig ihn die Antwort
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