Entfuhrt
Jörgen eigentlich?
Calle lag im Bett. Er hatte Kopfschmerzen und war zu müde zum Onanieren. Gleichzeitig machte ihn der Restalkohol rastlos. Er holte sich trotzdem einen runter,
um den Kater zu vertreiben und sich in eine neue Gemütsverfassung zu versetzen. Er kam auf seinen Bauch, stand aus dem Bett auf und hielt eine Hand gewölbt unter den Bauchnabel, damit die Samenflüssigkeit nicht auf den Fußboden tropfte. Er eilte ins Bad, wischte sich den Bauch ab, pinkelte und kehrte ins Bett zurück.
Die Viererbande. Als wären sie eine Sekte oder so was gewesen, eine Bande Freikirchler in Mönchsgewändern, die sich mittels einer Geheimsprache verständigten und eine Blutsbrüderschaft eingegangen waren.
So eng waren sie gar nicht befreundet gewesen. Irgendwann in der neunten Klasse hatte sich die Gruppe aufgelöst, und neue Konstellationen hatten sich gebildet.
Typisch Jörgen, sich so einen Namen auszudenken. Viererbande.
Er dramatisierte die ihn umgebende Welt wie ein Kind. Aber vielleicht war genau dies ja das Geheimnis seines Erfolgs, dass ihn die Details nicht blind machten, dass er trotz all der Bäume den Wald noch sah.
Das war der letzte Gedanke, der Calle durch den Kopf ging, ehe er genüsslich wieder einschlief.
13. KAPITEL
»Wo ist Mama?«
Mike öffnete blinzelnd die Augen. Sanna stand im Schlafanzug neben seinem Bett. Er drehte sich um und sah, dass Ylvas Betthälfte leer und unberührt war. Niemand hatte dort geschlafen.
»Ich weiß nicht, Liebling. Wie spät ist es?«
Er streckte die Hand nach seiner Armbanduhr aus.
»Acht null sieben«, las Sanna vom Radiowecker ab und kroch ins Bett. »Ist Mama nicht nach Hause gekommen?«
»Ich weiß es nicht. Offenbar nicht. Sie hat bestimmt bei einer Freundin übernachtet. Vielleicht ist es ja spät geworden, und es gab keine Taxis.«
»Willst du sie nicht anrufen?«
»Vielleicht später. Wenn es spät war heute Nacht, schläft sie vermutlich noch.«
»Und wenn sie nicht mehr schläft?«
Genau diesen Gedanken versuchte Mike auszublenden, aber sein Gehirn ignorierte seine Vorsätze, und er sah Ylva in der festlichen Kleidung vom Vortag von der Bushaltestelle kommen, barfuß, die Schuhe mit den hohen Absätzen in der Hand. Sie würde in der Tür stehen bleiben, eine
Sekunde beschämt zu Boden schauen, ehe sie Mut fasste und sagte: Mike, wir müssen miteinander reden.
Genau so, obwohl sie weder festlich gekleidet gewesen war noch hohe Absätze getragen hatte.
Mike setzte sich auf.
»Sie schläft vermutlich noch. Hast du Hunger?«
Sanna nickte mit übertriebenen Bewegungen und sprang aus dem Bett.
»Schokopops!«
»Okay, Schokopops. Aber ein Brot musst du auch essen.«
Mike setzte Kaffee auf und holte die Zeitung, er tat alles, was ein Mann tut, der nicht außer sich vor Angst ist, dass seine Frau ihn verlassen könnte. Er rief sie mehrmals an. Ihr Handy war ausgeschaltet, und jedes Mal sprang die Mailbox an. Mike sprach einige Male aufs Band.
»Wo bist du? Ich fange an, mir Sorgen zu machen. Sanna auch. Sei so nett und melde dich.«
Beim zweiten Mal:
»Verdammt noch mal, wieso hast du dein Handy ausgeschaltet? Das ist eine Schweinerei. Mir ist scheißegal, wo du bist.«
Weder das Frühstück, die Zeitung noch ein Blick auf die Abendzeitungen im Internet beschleunigten die Zeit bis neun Uhr, einer Uhrzeit, ab der Mike bei anderen Leuten anrufen konnte, ohne verzweifelt zu wirken. Neun Uhr war wahrscheinlich auch noch zu früh, also beschloss Mike, eine Kolumne zu lesen, die er beim ersten Versuch nicht geschafft hatte.
Er war fast durch, als ihn Sanna darum bat, nach einer DVD zu suchen, die auf Abwege geraten war. Um elf Minuten nach neun hatten sie den Film gefunden und eingelegt. Mike ging in die Küche und rief Nour an.
Nour war Ylvas beste Freundin am Arbeitsplatz. Mike war ihr nur ein Mal begegnet und hatte sie sofort sympathisch gefunden. Sie hatte wache Augen und ein entwaffnendes Lächeln.
»Ist sie nicht nach Hause gekommen?«, fragte Nour.
»Sie hat gesagt, dass sie mit euch ausgehen will«, erwiderte Mike.
Nour zögerte einen Augenblick, als müsse sie überlegen, was sie sagen sollte, sah dann aber ein, dass sie nicht lügen konnte.
»Zu uns hat sie gesagt, dass sie nach Hause geht«, meinte sie schließlich. »Hast du es schon auf ihrem Handy probiert?«
»Es ist ausgeschaltet.«
Nour hörte das Misstrauen in Mikes Stimme.
»Also, ich habe keine Ahnung«, sagte sie ausweichend. »Es ist doch wohl nichts passiert? Hast
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