Enthuellungen eines Familienvaters
„Giovannino. dreh das Licht an; es ist Mitternacht, und du sollst nicht im Finstern schreiben!“ — „Giovannino, zieh keine leichten Sachen mehr an, wir haben Dezember.“ — „Giovannino, zieh nicht mehr den Mantel und den dicken Schal an, wir haben Juli!“ So müßte Margherita mich auch daran erinnern, daß ein Jahr vergangen ist; man kann nicht an alles denken!
Die Zeit vergeht schnell in dieser ungewöhnlichen Stadt, und bevor du die Leinensachen richtig weggeräumt hast, ist schon wieder der nächste Sommer da.
Wenn man mich rechtzeitig darauf aufmerksam macht, daß es Sommer ist, dann weiß ich gleich, was ich mit meinen Sonntagen anfange. Denn das Autoproblem ist längst gelöst: ein vertrauenswürdiger Mechaniker lotst mich bis zur Autobahn von Varese. Sind wir dort angekommen, verläßt er mich. Ich gebe Gas und fahre fröhlich los. In Varese oder in Sesto Calende angekommen, verlasse ich die Autobahn, parke, komme wieder auf sie zurück und fahre in Richtung Mailand. Hier steht der Mechaniker bereit, der sich an den Volant setzt und mich nach Hause zurückfährt. Ich finde die Autobahn ideal für eine Erholungsfahrt. Keine Kurven, keine Kinder, Hunde, Hühner. Keine Radfahrer. Ruhiger, disziplinierter Verkehr. Stille und Poesie.
Auf der Autobahn werden alle Leute sentimental.
Längs der Autobahn, am Rande des Asphalts, halten die Mailänder für einige Augenblicke ihre schönen Autos an und steigen aus, um das Gras zu berühren und Blumen zu pflücken. Hunderte von Autos sieht man, die am Rande der Autobahn stehen. Auch die großen Industriellen fühlen die Poesie der Asphaltraine, auch die großen Industriellen, die selbst in den heißesten Monaten mit ihren kostbaren Pelzen und glänzenden Zylindern herumfahren. Der livrierte Chauffeur hält das überlange Auto an, steigt aus, öffnet den Schlag, grüßt korrekt; der große Industrielle steigt aus, pflückt einen Grashalm, steckt ihn in den Mund. Dann steigt er wieder ein, und während das Auto weiterfährt, nimmt er seine Gedanken an wichtige Dinge wieder auf.
Die Zeit vergeht schnell in dieser ungewöhnlichen Stadt! Die Monate bestehen aus vier Tagen: Sonntag, Sonntag, Sonntag und Sonntag.
„Margherita, vom ersten September an dürfen keine Autos mehr fahren.“
„Das freut mich, Giovannino.“
„Margherita, es wäre gut, wenn du einen Blick auf meine Uniform werfen wolltest. Man müßte vielleicht meine Stiefel und auch das Koppel ausbessern lassen.“
„Schon geschehen, Giovannino.“
„Eventuell könntest du dich zu Frau Flaminia zurückziehen.“
„Wenn es notwendig sein wird, Giovannino.“
Man kommt nicht mehr zum Arbeiten im Büro; alles scheint sinnlos. Der Herr Direktor brüllt, wenn’ man ihm die Post zur Unterschrift bringt. Er will nur Landkarten und Zeitungen! Überall tuschelt man, jeder hat eine Neuigkeit.
Kürzlich hält mich Giuseppe an.
„Die Engländer haben angeblich dreißig Flugzeuge von Amerika bekommen“, sagt er vorsichtig.
Ich antworte ihm, daß ich auch den „Popolo d’Italia“ gelesen habe, aber daß mir die Sache jeder Bedeutung zu ermangeln scheine: „Das ist nicht wahr, mein Lieber“, erläutert Giuseppe. „Für mich, für dich ist die Sache bedeutungslos, aber die kleinen Leute beeindruckt es.“ Ich gehe Schinken kaufen, und der treffliche Verkäufer informiert mich zwischen einer Scheibe und der nächsten, daß die Engländer von Amerika, dreißig Flugzeuge bekommen haben. Ich antworte ihm wie dem Freund Giuseppe.
„Das ist nicht wahr, lieber Herr“, sagt der wackere Kleinhändler. „Für mich, für Sie ist die Sache bedeutungslos, aber die kleinen Leute beeindruckt es.“
Auf der Treppe treffe ich das Dienstmädchen vom dritten Stock, das mir die Zeitung zeigt und fragt, ob wirklich hier geschrieben sei, daß die Engländer von Amerika dreißig Flugzeuge bekommen haben. Ich lese ihr die Nachricht laut vor, denn das Dienstmädchen vom dritten Stock trägt zwar orthopädische Schuhe, ist aber Analphabetin. Dann teile ich ihr zum Abschluß der Zeremonie mit, die Sache sei unwichtig. „Das ist nicht wahr, gnädiger Herr“, erwidert das treffliche Dienstmädchen. „Für mich, für Sie ist die Sache bedeutungslos, aber die kleinen Leute beeindruckt es.“
Am Nachmittag wiederholt sich alles bei dem alten Weiblein, das an der Straßenecke die glückbringenden Tierkreiszeichen verkauft, und auch das Weiblein mit den Tierkreiszeichen schließt: „Für mich, für Sie ist die
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