Enthuellungen eines Familienvaters
Unsympathisches gibt, ist es genau das. Es zeugt von schlechtem Geschmack, es ist höchst kleinbürgerlich und überflüssig. Ja, ich gehe noch weiter: ich habe verboten, daß man mein Kind photographiert. Kleine Kinder sind doch alle gleich. Nicht wahr?“
Wir sprachen ausführlich über die Erziehung der Kinder. Dann, als er in der Tasche nach der Streichholzschachtel suchte, rief Giovanni überrascht aus: „Was ist denn das?“
Es war eine Photographie seines Kindes.
„Das muß meine Frau gewesen sein“, meinte Giovanni. „Du weißt ja, wie Frauen sind. Na, wie gefällt er dir ,“
Ich sagte ihm, .es sei ein großes hübsches Kind, und ich bedauerte, daß ich ihm nicht meines zeigen konnte. Aber dann tat auch ich, als ich in meiner Brieftasche herumstöberte, plötzlich einen Ausruf der Überraschung: „Ja, tatsächlich, eine Photographie meines Sprößlings! Die Frauen sind wirklich alle gleich.“
Giovanni gab zu, daß mein Kind einfach ein Phänomen sei. Hierauf erinnerte er sich an irgend etwas , zog die Brieftasche und fand eine zweite Photographie seines Kindleins. Darauf erinnerte auch ich mich an irgend etwas , und es gelang mir, mitten unter den Dokumenten noch eine zweite Photographie meines Sohnes auszugraben. „Schau ihn doch an, ist er nicht süß, wenn er seine kleine Seite besorgt?“ sagte ich, indem ich ihm das Dokument zeigte. „Schau doch meinen an, wenn er den Finger in die Nase steckt!“ rief Giovanni bewegt aus, ein drittes Photo herausholend.
Bei der zweiunddreißigsten Photographie, die seinen Erben zehn Minuten nach der Geburt darstellte, rief ich mit einem Triumphgeheul und mit einer weiteren Photographie:
„Da schau: meine Frau, zwei Tage, bevor der Kleine geboren wurde!“
„Margherita, es ist schlimm, wie ich verbürgerliche! Auch ich reise mit vielen Photographien unseres Kleinen herum.“
„Besser viele Photographien des Kleinen als eine einzige von einer gewissen blonden Sekretärin“, antwortet Margherita.
Die Zeit vergeht schnell in dieser ungewöhnlichen Stadt. Man steht um acht Uhr auf. Fünfzehn Minuten auf den Füßen, um sich anzukleiden, eine Tasse von irgend etwas zu schlürfen, mit dem Aufzug hinunterzufahren, zur Straßenbahnhaltestelle zu kommen.
In der Straßenbahn sitzt man.
Fünf Minuten auf den Füßen, um von der Straßenbahnsitzbank zu seinem Bürositz zu gelangen.
Von acht Uhr dreißig bis zwölf Uhr sitzen.
Fünf Minuten auf den Füßen, um zur Straßenbahn zu kommen. Sitzen.
Sieben Minuten zu Fuß, um bis zum Tisch zu gelangen. Bei Tisch sitzen. Im Lehnstuhl vorm Radio sitzen. Sieben Minuten auf den Füßen, um sich von der Straßenbahnsitzbank zum Bürositz zu begeben.
Von vierzehn bis neunzehn Uhr sitzen.
Fünf Minuten auf den Füßen, um zur Straßenbahn zu kommen. Sitzen.
Sieben Minuten, um sich auf den Sessel am Tisch zu schleppen.
Bei Tisch sitzen. Im Lehnstuhl vorm Radio sitzen. Wegen der außertourlichen Arbeit bis vierundzwanzig Uhr am Schreibtisch sitzen. Von null Uhr bis acht Uhr liegen.
Man verbringt sechs Tage lang sechsundfünfzig Minuten pro Tag auf den Füßen und dreiundvierzig Stunden vier Minuten sitzend oder liegend.
Berechnen wir jedoch die vierundzwanzig Stunden des Sonntags gesondert: Bis zwölf Uhr liegen. Von zwölf Uhr fünfundvierzig bis fünfzehn Uhr fünfundvierzig bei Tisch, im Lehnstuhl, auf dem Balkon sitzen. Von sechzehn Uhr fünfundvierzig bis achtzehn Uhr fünfundvierzig im Café sitzen. Von neunzehn Uhr dreißig bis zwanzig Uhr dreißig bei Tisch, im Lehnstuhl sitzen, ausgestreckt auf dem Diwan liegen. Von einundzwanzig Uhr fünfzehn bis dreiundzwanzig Uhr fünfzehn im Kino, im Theater oder im Hause von Freunden sitzen.
Die Zeit hat ihren Wert, wenn ein Geschöpf des lieben Gottes jede Stunde seines Tages erlebt, Minute für Minute. Aber schlafen ist schlafen, und am Tisch sitzend arbeiten oder — bei Tische sitzend — Speisen hinunterschlingen, ist wie schlafen. Die Zeit vergeht schnell in dieser ungewöhnlichen Stadt, und plötzlich macht man eine Äußerung des Mißvergnügens: „Margherita, warum sagst du mir gar nichts? Wir sind ja schon im Jahre 1939!“
Margherita beschränkt sich nämlich darauf, mich an die nebensächlichen Dinge zu erinnern: „Giovannino, hör auf, mit leerem Mund zu kauen; schon seit zehn Minuten hast du dein Beefsteak zu Ende gegessen!“ — „Giovannino, hör auf, in die Luft zu blasen, schon seit fünfzehn Minuten ist deine Zigarette ausgeraucht!“ —
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