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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovannino Guareschi
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er die Orangeade getrunken und sich ruhig niedergesetzt. Aber ich bin kein normaler Mensch; auf die Gefahr hin, mir den Hals zu brechen, stürzte ich mich aus dem Zug.
    Ich wurde von einer nicht genau anzugebenden Anzahl von Leuten insultiert, mußte fünfhundert Meter Eisenbahngleise entlanglaufen, aber es gelang mir doch, das Bahnsteigdach des Bahnhofs wiederzusehen. Ein Geschöpf des lieben Gottes war dabei, Wäschestücke und Gegenstände verschiedenster Art in gewissen, übel zugerichteten Reisetaschen zu verstauen.
    „Wo warst du?“ schluchzte das Geschöpf des lieben Gottes.
    „Im Zug“, erklärte ich ihr. „Da es ja unsere Absicht war, uns mit dem Zug nach Mailand zu begeben, bin ich in den Zug gestiegen.“ In meinem unglückseligen Leben habe ich Tausende von Augen gesehen; aber zwei Augen, wie die des erwähnten trefflichen Geschöpfes, habe ich noch nie gesehen.
    Kaum hatte ich hierauf „Albertino!“ gestammelt, als die ausgezeichnete Frau wieherte. Es ist wenig geschmackvoll und wenig rücksichtsvoll von mir, aber was kann ich dafür? Wenn unter dem Bahnsteigdach zurückgebliebene Mütter bemerken, daß ihr einziger Sohn mit dem Zug nach Mailand reist, dann wiehern sie eben.
    Ich beschwor den Stationsvorstand, Telegramme abzuschicken. Sehr bald kam eine tröstliche Antwortdepesche: „Kind glücklich in Fi-denza angelangt.“
    „Sehen Sie, da kommt der Beschleunigte nach Mailand“, erläuterte mir ein Beamter. „Steigen Sie ein, und in zwanzig Minuten können Sie Ihren Sohn wieder umarmen.“
    So befanden wir uns also wieder im Zug, müde und übel zugerichtet; aber was bedeutete das? Albertino würde in zwanzig Minuten wieder in unserem Besitz sein!
    Als wir in Fidenza angekommen waren, behandelte uns ein Beamter unfreundlich. „Wie sollte denn das Kind hier sein, wenn Sie telegraphieren ließen, man solle es mit dem nächsten Zug nach P. zurückschicken? In dem Zug, den Sie gekreuzt haben, war Ihr Kind.“
    Ich hatte nichts Derartiges telegraphieren lassen und blickte verblüfft auf die Unglückselige, die mich zum traurigsten der Reisenden machte.
    „Ja“, erklärte die Unglückselige, „ich ließ telegraphieren, aber ich dachte, du hättest dafür gesorgt, daß eine Gegenorder abgeht. Ich hatte es dir gesagt, Giovannino! Ich bin fest davon überzeugt.“ Unverzüglich ging ein Telegramm ab: „Kind auf nächster Station zurückbehalten.“ Kurz darauf kam die Antwort: „Kind Gepäckaufbewahrung P.“
    Der nächste Zug nach P. wäre in fünf Stunden gegangen; angesichts einer Entfernung von nur siebzehn Kilometern begreift man, daß es ein Wahnsinn gewesen wäre, fünf Stunden zu warten. „Wir können per Rad fahren“, schlug ich der trefflichen Frau vor, die mich zum Tandemisten gemacht hatte. „So haben wir nicht einmal den Ärger mit dem Gepäck… Es fährt direkt nach Mailand...“ Mietfahrräder sind die bösartigsten Mechanismen der Welt. Wenn gar die Räder nur eines sind und dazu dienen sollen, zwei Personen zu befördern, wird die Angelegenheit grauenerregend. Mir war es, als führe ich auf einer Straßenwalze, und ich brauchte nicht weniger als drei Stunden, um das Gewicht meiner übriggebliebenen Familie siebzehn Kilometer weit zu transferieren.
    „Das Kind wurde von den Großeltern ausgelöst“, wurde uns auf dem Bahnhof erklärt (und hier muß erwähnt werden, daß die trefflichen Eheleute, die mich zum Sohn und nachher zum Bruder gemacht hatten, unserer Abreise beigewohnt hatten und auf dem Bahnhof geblieben waren, um zu sehen, wie die Sache ausgehen würde).
    „Schön!“ seufzte die unglückselige Mutter des verlorenen Sohnes. „Sie werden sie in Mailand treffen“, fügte der Stationsvorsteher hinzu. „Sie sind vor zwanzig Minuten mit dem Schnellzug abgereist.“ Mechanisch abrollende Geschichten wie diese werden in einem bestimmten Stadium langweilig. Es ist besser, schnell zum Ende zu kommen:
    Um Mitternacht waren wir in Mailand, und die plötzlich aus dem Schlaf geschreckte Hausbesorgerin erklärte uns, zwei ältliche Eheleute seien mit Albertino dagewesen und hätten, als sie erfuhren, daß wir noch nicht heimgekommen seien, ausgerufen: „Natürlich sind sie nach P. zurückgefahren. Wir werden sie dort treffen!“
    Ich stellte eine verständige Überlegung an: „Wenn wir zurückfahren, werden wir sie nicht treffen, denn in der Zwischenzeit werden sie hierherkommen. Wenn wir hierbleiben, werden wir sie nicht treffen, weil sie dort bleiben, um auf uns zu

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