Entmündigt
weitaufgerissenen Augen, wie das Boot zu tanzen begann, sich im Kreise drehte und auf den Wellen ritt, bis es hinabstürzte in gähnende Abgründe von Schaum.
»Hilfe!« rief Monique wieder, mit kläglicher, vom Wind weggerissener Stimme. Sie stemmte ihre Beine in eine Seilrolle und preßte den Kopf an die Brust, um nicht zuviel Wasser ins Gesicht gepeitscht zu bekommen.
Als der metallverstärkte Mittelmast brach und die Segel ins Wasser klatschten, gingen die Brecher voll über Monique hinweg und rissen sie fast mit.
»Mama! Hilfe! Mama … Mama …«
Dann sah sie auf das Meer, auf das grüne, schäumende Ungeheuer, ihr kam die Erkenntnis des Unentrinnbaren, und ihr Mund blieb weit offen vor Entsetzen.
Ewald Peltzner hatte zum drittenmal ein Gespräch nach St. Tropez angemeldet. Er lag auf der Couch, das verletzte Bein weich auf Kissen gebettet. Der Arzt sollte in zehn Minuten kommen und es neu verbinden. Es war ein befreundeter Arzt, der über die Schußverletzung Stillschweigen wahren würde …
Um Ewald Peltzner war ein fast luftleerer Raum entstanden. Anna Fellgrub und ihr Sohn Heinrich warteten auf ihren Vermögensanteil und hatten eine Woche Frist gegeben, alles zu regeln. Die Hausdame und ein Hausmädchen hatten gekündigt und waren von einer Stunde zur anderen gegangen. Es war ihnen ›zu laut im Haus‹, wie sie sagten. Nur eine alte Köchin war geblieben, die schon den Fabrikanten Bruno Peltzner verpflegt hatte. Sie war schwerhörig und kam aus ihrer Küche kaum heraus. Sie betreute Ewald Peltzner, ohne zu wissen, was alles im Laufe der vergangenen Monate geschehen war.
Die Verbindung mit St. Tropez kam diesmal rasch zustande. Halb aufgerichtet lauschte er. Was er hörte, warf ihn zitternd auf die Couch zurück.
»Aber … das kann doch nicht sein …«, stammelte er. »Wieso ist meine Tochter mit der Jacht hinaus … Wie bitte? Es war ein Sturm auf dem Meer? Und … und? Noch nicht zurück … vermißt … Aber … aber … so hören Sie doch … Wie? Man hat Wrackteile gefunden …?« Peltzners Hand, die den Hörer hielt, wurde schwer. Sein fahlbleiches Gesicht wurde zu einer schrecklichen Grimasse. »Nein … nein!« rief er. »Meine Tochter kann doch nicht … sie kann doch nicht …«
Der Hörer fiel aus seinen Händen. Aus der hin und her pendelnden Muschel hörte man eine weit weg quäkende Stimme. Schließlich erlosch auch sie.
Peltzner lag wie gelähmt. Monique, dachte er. Mit der Jacht … im Sturm vermißt … Bootsteile wurden angeschwemmt … Monique … Monique …
Plötzlich schrie er. Grell, unmenschlich, wie ein sterbendes Pferd. Er schrie so schrecklich, daß es selbst die schwerhörige Köchin hörte und in das Zimmer kam.
»Was ist denn?« stotterte sie. »Mein Gott, was ist denn …?«
»Der Arzt! Der Arzt!« Peltzner fuchtelte wild mit den Armen. »Und ein Flugzeug! Sofort! Ich miete, ich kaufe jedes Flugzeug, das sofort starten kann! Monique … meine kleine Monique … Ein Flugzeug …!«
Wenige Minuten später versuchte der Arzt, Ewald Peltzner durch eine Injektion zu beruhigen. Das Schreien hörte auf … es wurde zu einem Wimmern. Aber der Gedanke blieb und ließ sich durch keine Spritze mehr unterdrücken.
»Besorgen Sie mir ein Flugzeug, Doktor …«, stammelte Peltzner und umklammerte die Hände des Arztes. »Ganz gleich, was es kostet … Ich muß sofort nach St. Tropez! Verlassen Sie mich jetzt nicht … bitte, bitte.«
»Aber Herr Peltzner! Ihr Zustand … das Bein …«
»Bitte … bitte …«, wimmerte Peltzner.
In der Nacht noch flog eine gecharterte Privatmaschine nach Südfrankreich. Neben dem Piloten lag über zwei Sitzen Ewald Peltzner. Hinter ihm hockte der Arzt.
»Es ist verrückt, was Sie tun!« sagte er, als sich die Maschine von der Rollbahn abhob. »Was wollen Sie in St. Tropez …? Wenn Ihrer Tochter wirklich etwas …«
Peltzner preßte beide Hände flach gegen seine Ohren.
»Hören Sie auf!« stöhnte er. »Bitte, hören Sie auf. Monique … was wissen sie, was Monique für mich bedeutet …«
Der Arzt schwieg und starrte hinaus zu den Lichtern unter ihnen. Plötzlich mußte er an Gisela Peltzner denken, an das große, blonde Mädchen, das man entmündigt in eine Irrenanstalt gesperrt hatte. Und er empfand auf einmal keinerlei Mitleid mehr mit dem wimmernden dicken Mann vor sich auf den beiden Flugzeugsitzen.
Am Abend war es der Polizei von St. Tropez klar, daß Monique Peltzner mit ihrer kleinen Segeljacht gekentert war und den Tod
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