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Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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rotlackierten Nägeln zerrte sie nervös an ihrem tiefen Ausschnitt.
    »Von mir aus … Ich kann ja doch nichts ändern …«
    »Dann sind wir uns alle einig.« Ewald Peltzner setzte sich und faltete seine dicken Hände. »Von heute ab behandeln wir Gisela höflich und nett, aber immer, als wenn sie sehr krank wäre. Du mußt Ruhe haben … nur Ruhe … das werden wir ständig zu ihr sagen. Und wenn sie aus der Haut platzt und tobt … um so besser! Für uns ist sie ab heute unheilbar krank, haben wir uns verstanden?«
    Die anderen drei nickten stumm. Das Grauen saß ihnen in der Kehle.
    »Wo … woher willst du die Ärzte bekommen, die dir bestätigen …?« fragte Anna Fellgrub leise.
    »Ich habe dir schon vorher gesagt: Laß das meine Sorge sein. Aber wenn du es partout wissen willst – ich werde sie mir kaufen!« Ewald Peltzner knackte mit den Fingern. »Alles hat seinen Preis. Unter einigen Tausend Ärzten werde ich wohl den einen und anderen finden, dem 100.000 Mark für eine einzige Unterschrift mehr wert sind als die ganze ärztliche Moral! Schweine gibt es überall und immer …«
    *
    Die Schädeluntersuchungen, die Tests der Gehirnnerven und die Feststellung der einzelnen Motorikphasen waren beendet. Oberarzt Dr. Pade war zufrieden. Was er im stillen erwartet hatte, konnte er jetzt bestätigen. Alles war normal. Es zeigten sich keinerlei Ansätze einer abnormen Reaktion.
    Professor v. Maggfeldt war weniger zufrieden. Die Unterhaltung mit Gisela Peltzner, die in die Krankengeschichte als ›Psychischer Befund‹ eingetragen wurde, ergab keine befriedigenden Ansatzpunkte. Das Gesamtverhalten war klar, ein wenig depressiv, aber keineswegs psychotisch. Giselas Benehmen war zurückhaltend, höflich, aber mißtrauisch. Mimik und Gestik lebhaft, aber natürlich, die Sprechweise stockend, beeinflußt von der inneren Erregung. Die Stimmungslage war gedrückt; nur wenn sie von ihren Verwandten sprach, wurde sie gespannt, zornig, manchmal unsachlich. Hier schien die Krankheit zu liegen: Ein psychopathischer Verwandtenhaß, verbunden mit der Wahnidee, Opfer eines Verwandtenverbrechens zu sein.
    Ein leichter Fall, dachte v. Maggfeldt, als er nach zweistündigem Gespräch mit Gisela Peltzner sich erhob. Aber aus diesen Urgründen des Hasses kann ein Mord werden, die Wahnidee kann ihn als Selbstschutz motivieren, es kann zu einer Katastrophe kommen. Man weiß nie, wie Seele und Hirn reagieren. Plötzlich fallen die letzten Bremsklötze, und aus einem Engel wird ein Satan, aus einem friedlichen Bürger eine Bestie … Und niemand weiß, wer dieses Tor zur Hölle aufreißt …
    »Nun? Bin ich verrückt?« fragte Gisela Peltzner, als sich der Professor erhob. Ihre Stimme war ungeheuer beherrscht.
    »Aber ich bitte Sie!« Oberarzt Dr. Pade antwortete, bevor v. Maggfeldt etwas sagen konnte. »Wir tun hier alles, um Ihnen das Gegenteil zu beweisen.«
    »Und die Diagnosen von Dr. Vrobel und Dr. Oldenberg? Ich habe gehört, wie sie zu meinem Onkel sagten: Jetzt haben wir sie soweit …«
    »Wir werden uns gegen Abend noch einmal zusammensetzen«, sagte er. »Ich schlage vor, Sie gehen jetzt im Park spazieren, nach dem Mittagessen schlafen Sie etwas. Wenn Sie dann Lust haben, können Sie im Schwimmbecken schwimmen. Sie sollen sich ganz wohl bei uns fühlen …«
    »Ich möchte meinen Anwalt und meinen Verlobten Dr. Budde sprechen.«
    »Wir haben sie bereits benachrichtigt.«
    Es war v. Maggfeldts erste Lüge gegenüber Gisela. Er log um der Diagnose willen. Bei einem ruhigen Patienten kam man mit der Diagnose schneller weiter …
    In Begleitung zweier Schwestern ging Gisela nach dem Mittagessen im Park spazieren. Sie schwamm auch ein paar Runden in dem grüngekachelten Schwimmbecken, ließ sich von der Sonne trocknen und ging dann am Rande des Wasserbeckens entlang, vorbei an Blumenrabatten und blühenden Büschen.
    Plötzlich blieb sie stehen. Vor ihr, durch ein Gebüsch wie ein Molch sich auf dem Bauche vorwärts schiebend, kroch eine Frau. Ihr graues Haar bedeckte wie ein Schleier das faltige, spitze Gesicht. Mit den knochigen Händen schob sie einen dicken Stein vor sich her über den Waldboden, leise krachend und sich ab und zu vorbeugend und den Stein innig küssend.
    Unfähig, zurückzulaufen, zu rufen, gelähmt von dem Anblick, blieb Gisela stehen. Ihr Schatten fiel auf die kriechende Frau, der Kopf zuckte hoch, die grauen Haare flogen zur Seite … weit aufgerissene, hervorquellende, flatternde Augen starrten sie an, ein

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