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Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mund, wie eine Hölle aufgerissen … mit beiden Händen umklammerte die Irre den großen Stein und drückte ihn an die Brust.
    »Nicht wegnehmen …«, keuchte sie …
    »Nicht wegnehmen … Ihr wollt mir nur meinen Ludwig wegnehmen … Ihr wollt ihn in Pulver tauchen und dann hochsprengen … Was seht ihr mich so an mit euren Kanonenaugen … Nein, nein … nicht wegnehmen … nicht meinen Ludwig nehmen …«
    Sie richtete sich auf den Knien auf, ergriff den großen Stein und schlug ihn sich mit beiden Händen auf den schwankenden Kopf. Immer wieder … die Kopfhaut platzte auf, die Nase, das Gesicht … das Blut floß aus zerfetztem Fleisch …
    »Schwester!« rief Gisela in abgründiger Angst. »Schwester …« Sie stürzte auf die Irre, sie wollte ihr den Stein entreißen, aber mit unmenschlicher Kraft umklammerte die Frau den Stein, sie trat und spuckte und schrie gellend.
    »Laß mir meinen Ludwig … meinen Ludwig …«
    Sie hob den Stein hoch und schlug mit ihm nach Gisela. An der Schulter getroffen, fiel Gisela nach hinten in die Blumen. »Schwester!« schrie sie noch im Fallen.
    Mit einem Triumphgeheul rannte die Frau durch den Park davon, den Stein an ihre Brust pressend. Zwei Pfleger hetzten ihr nach.
    »Wie konnte so etwas vorkommen?« fragte Oberarzt Dr. Pade, als man Gisela ins Haus trug und auf ihr Bett legte. Er war außer sich. Eine massive Quetschung zeichnete sich an Giselas linker Schulter ab. Bis zur Brust färbte sie sich blau. »Wie kommt die Paulis in den Park?!«
    Frau Paulis, die Irre mit dem Wahn, man wolle ihr den einzigen Sohn wegnehmen, ihn in eine Uniform stecken und totschießen, hatte in einem Ausbruch, der sich durch nichts angekündigt hatte, die Putzfrau überrannt. Ehe die beiden anderen Zimmer-Insassinnen Frau Paulis festhalten konnten, war sie durch den Flur gehetzt, hatte die Tür des Pavillons aufgetreten und war in dem weiten Park verschwunden. Zwei Pfleger, die sofort alarmiert wurden, suchten verzweifelt nach der Geflüchteten, bis Gisela sie in den Büschen entdeckte.
    Vergeblich hatte Professor v. Maggfeldt die in immer schneller auftretenden Wahnschüben vergehende Frau Paulis behandelt. Neben Drogen zur Ruhigstellung hatte er bei ihr auch den Elektroschock angewandt. Fünfmal war Frau Paulis bisher geschockt worden … nach den Schocks hatte die Wahnidee jedesmal etwas nachgelassen, fast ein halbes Jahr hatte sie ruhig und völlig normal in der Abteilung für Leichterkrankte gelebt. Dann plötzlich war es in ihren Augen wieder aufgeflackert, sie hatte nach einem Pappkarton gegriffen und war schreiend davongerannt.
    »Ihr wollt mir meinen Ludwig nehmen! Ihr wollt mir …«
    Professor v. Maggfeldt hatte einen weiteren Elektroschock angeordnet. »Sie tut mir so leid«, hatte er zu Oberarzt Dr. Pade gesagt. »Sie kann es nicht verwinden …«
    Ludwig Paulis, der geliebte 19jährige Sohn, war 1942 in Stalingrad gefallen. Nichts war von ihm übriggeblieben, keine Erkennungsmarke, keine Brieftasche, nicht einmal ein Jackenknopf … dort, wo er gelegen hatte, war ein großer, rauchender Trichter gewesen …
    Erst nachdem Frau Paulis wieder ruhig geworden war und es sich herausstellte, daß die Verletzung Gisela Peltzners nicht schwer war, meldete Dr. Pade seinem Chef den Vorfall.
    »Sehr unangenehm, Herr Pade«, sagte Maggfeldt ärgerlich. »Das wirft uns um mindestens zwei Wochen zurück. Ehe Fräulein Peltzner über dieses Erlebnis hinweg ist, werden wir kaum mit ihr weiterkommen, wenn wir nicht überhaupt wieder ganz von vorn anfangen müssen. Gerade in ihrem Fall ist mir das ganz besonders peinlich …«
    Pade wollte etwas einwerfen, aber der Professor winkte ab.
    »Ich weiß ja, daß es nicht Ihre Schuld ist … es ist eher meine. Ich bin an Frau Paulis gescheitert! Das ist es. Was machen wir mit ihr? Schon wieder einen Schock? Sie müssen zugeben, daß das ein ziemlich trauriger Einfall ist … Kommen Sie, wir wollen mal sehen, was Fräulein Peltzner macht …«
    »Wo ist Gisela?«
    Dr. Budde stand vor Ewald Peltzner. Er war nicht mehr der fröhliche, etwas schlaksige junge Mann. Sein Gesicht war kantig und blaß. Als er die Arme auf den Schreibtisch stützte, sah Peltzner, daß er die Fäuste geballt hatte.
    »Das müssen Sie doch wissen. Schließlich sind Sie der Verlobte, nicht ich!« Ewald Peltzner wich bis zum Fenster zurück. Der Ausdruck in Dr. Buddes Augen ließ ihn unsicher werden.
    »Seit vier Tagen ist sie nicht im Werk erschienen. Niemand hat sie mehr

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