Entmündigt
auf.
»Das wissen alle hier! Das hat sich 'rumgesprochen … wie das so in einem Betrieb ist …«
Dr. Budde sprang auf. Er gab Blauhert weder die Hand, noch bedankte er sich, er rannte einfach davon. Kopfschüttelnd sah ihm Franz Blauhert nach …
Ewald Peltzner wollte gerade sein Chefzimmer verlassen, um in den Club zu fahren, in dessen Hinterzimmer man Poker spielte, als Dr. Budde hereingestürzt kam. Er faßte Ewald Peltzner ohne Worte an beiden Rockaufschlägen, schob ihn in das Zimmer zurück und schloß hinter ihm die Tür ab. Ewald Peltzner riß sich mit einem Ruck los und rannte hinter seinen Schreibtisch. Mit einem schnellen Griff riß er den langen, dolchartigen Brieföffner hoch und streckte ihn Dr. Budde entgegen. Helle Angst schlug aus seinen Augen.
»Ich rufe die Polizei!« schrie er. »Machen Sie die Tür auf! Was wollen Sie von mir?«
Dr. Buddes Gesicht war mit kaltem Schweiß überzogen. So sieht ein Mörder aus, durchfuhr es Ewald Peltzner. Er fühlte, wie seine Beine kraftlos wurden.
»Wo ist Gisela?« fragte Dr. Budde. Seine Stimme war klanglos.
»Verreist …«
Langsam kam Budde näher, die Fäuste vorgestreckt. In Ewald Peltzner kroch das Entsetzen hoch. Er wollte zum Fenster stürzen, aber mit einem gewaltigen Sprung war Budde bei ihm und schleuderte ihn gegen den Schreibtisch zurück.
»Hilfe!« schrie Ewald Peltzner in blinder Angst. Seine Stimme überschlug sich und piepste wie die einer gejagten Maus. »Hilfe … Hilfe …«
»Was habt ihr mit Gisela gemacht?« Dr. Budde drückte Peltzner gegen die Wand. Über ihnen hing das Bild des Gründers der Peltzner-Werke.
»Wer hat gesagt, daß Gisela nicht mehr zurechnungsfähig ist?« brüllte Dr. Budde in das bleiche Gesicht Peltzners. »Welches Schwein hat das ausgestreut …?«
»Wer hat Ihnen das gesagt …?« wimmerte Ewald.
»Im ganzen Werk weiß man es!« Er drückte die Faust unter das Kinn Peltzners und hob das Gesicht damit zu sich empor. »Wo ist sie?« fragte er leise.
»Sie ist eingeliefert …«
»Eingeliefert …?«
»In die Klinik. Bei Professor v. Maggfeldt. Drei Ärzte haben Geisteskrankheit festgestellt … Es ist schrecklich, für uns alle … aber es ging nicht mehr …«
Dr. Budde konnte nicht anders, es war, als schwemme der plötzliche Schmerz und die Erkenntnis der Gemeinheit, die hier systematisch vorbereitet worden war und nun ihren Abschluß gefunden hatte, alle Hemmungen weg … er holte weit aus und schlug Ewald Peltzner mitten in das fette Gesicht. Immer und immer wieder. Es klang, als wenn man nasse Wäsche ausschlägt.
Langsam wurde der Körper unter seinen Händen weich wie ein Schwamm. Budde ließ ihn zu Boden sinken, der Ekel schüttelte ihn …
Eine halbe Stunde später gellte eine Autohupe ununterbrochen vor dem Tor der ›Park-Klinik‹. Aber das automatische Tor öffnete sich nicht. Nur zwei Krankenpfleger kamen durch den Park heran und brüllten dem Mann im Auto zu:
»Wenn Sie nicht gleich aufhören, kommen Sie 'rein … aber in die geschlossene Abteilung!«
Dr. Budde hupte weiter. Mir ist alles egal, dachte er verzweifelt. Und wenn sie mich in eine Isolierzelle sperren. Nur hinein will ich … hinein, zu Gisela … Er wollte die Schweigemauer der Gemeinheit einreißen. Er wollte beweisen, daß Gisela so gesund war wie er.
War er gesund? Vom psychiatrischen Standpunkt aus war das, was er durch sein beharrliches Hupen bewies, eine hysterische Reaktion … Panikstimmung. Psychiatrisch betrachtet haben wir alle einen Tick.
Die beiden Krankenpfleger gingen zurück in den Park.
Dr. Budde hupte noch immer. Ich werde stundenlang hupen … die ganze Nacht durch … dachte er wild. Ich will doch sehen, ob die nicht weich werden …
Auf einmal war der Gärtner mit seinem Rasenmäher da. Er grinste zu Dr. Budde hinüber, winkte und schwenkte den großen geflochtenen Strohhut.
»Du kommst nicht 'rein!« rief er durch die hohlen Hände. »Hier ist nichts für Verrückte …«
Der Elektroschock Frau Paulis' war für 10 Uhr vormittags angesetzt. Man hatte es ihr gesagt, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte und durch Injektionen die Auswirkungen des Schubs abgedämpft waren. Nach einer gut durchschlafenen Nacht willigte sie in den sechsten Elektroschock ein.
Im Behandlungszimmer war alles vorbereitet. Ein Schock ist etwas Alltägliches in einer psychiatrischen Klinik. Neben der Milieubehandlung, der medikamentösen Therapie mit Psychopharmaka und der Psychoanalyse ist der Elektroschock immer
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