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Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tage wagte, war gleichzusetzen mit einer Schlacht, wie sie vor grauer Zeit David gegen Goliath schlug.
    Die einzelnen Gruppen der Kranken waren peinlich getrennt. Jede Krankheit hatte eine Bahn für sich. Die Anlaufdielen mit den Stühlen und Notiertafeln waren durch halbhohe Holzwände voneinander abgeteilt. So sah man sich, konnte miteinander sprechen, aber es war unmöglich, handgreiflich zu werden.
    Bei den Psychopathen hielt einer bereits einen lauten Vortrag. Er dozierte über das Kegelspiel zur Zeit Neros und erzählte, daß der Gewinn bei ›alle Neune‹ ein Lustknabe gewesen sei. Nero habe an einem Abend dreißig Knaben gewonnen.
    An der Kugelschiene auf Bahn drei stand ein Schizophrener und leckte über die Kautschukkugel. »Sie schmeckt nach Vanille!« stellte er entzückt fest.
    Professor v. Maggfeldt hielt eine kurze Rede und weihte die neue Anlage mit einem Wurf ein. Nur drei Kegel fielen um. Ein Triumphgeschrei antwortete ihm. Die Augen der Irren glänzten freudig. In der Abteilung der Unternehmungslustigen hatte sich bereits nach kurzer Rundfrage eine Riege gebildet, alles ehemalige Kegelbrüder.
    Das große Experiment begann.
    Ein Kegelwettkampf zwischen Irren.
    Krachend schlugen die ersten Kugeln ein. Bei den Alkoholikern warf der erste bereits eine Neun. Über die Bahn lief ein Jubeln.
    Abwartend, beobachtend, stand der Professor mitten unter den begeisterten Kranken. Im Hintergrund warteten Pfleger und Ärzte. Sie hatten gespannte Gesichter. Wie würde dieses unheimliche Experiment enden …?
    Nach dem ersten Durchgang atmeten die Ärzte auf. Die Schizophrenen lagen an der Spitze. Sie freuten sich wie die Kinder und stießen mit ihren Limonadegläsern johlend an.
    Ein Mathematiker, einstmals Professor an einer bekannten deutschen Universität, saß in einer Ecke am Tisch und versuchte in langen Zahlenkolonnen die Endgeschwindigkeit der Kegelkugel und das Aufprallgewicht auf die Kegel auszurechnen. Er kam zu keinem Ergebnis, soviel er auch rechnete. Resignierend legte er Bleistift und Papier zur Seite, drehte sich zur Wand und begann zu weinen. Ein Pfleger führte ihn in einen Nebenraum, tröstete ihn und brachte ihn dann zu seinem Pavillon.
    Der Stolz der Alkoholiker war tief verletzt. Sie, die Fachleute für Kneipen und Saufen, die alten Kegelbrüder und Stammtischler, die Quartalssäufer und Deliriumkranken, sollten von den Spaltungswahnsinnigen geschlagen werden? Es gab in der Box der Alkoholiker eine stille, aber verbissene Beratung. Zwei Ärzte beobachteten die Verschwörung. Aber nichts deutete darauf hin, daß sie eingreifen mußten. Professor v. Maggfeldt machte mit einem großen Tablett die Runde und bediente gerade die Manischen mit gezuckertem Tee und Zitronensaft.
    Auf einmal waren sich die Alkoholiker einig. Der zweite Durchgang begann. Zum großen Erstaunen der anderen Riegen gingen die ›Säufer‹, wie man sie in der Anstalt nannte, vor jedem Wurf daran, ihre Kugel rundum zu bespucken. Der Erfolg war verblüffend … viermal die Neun, dreimal eine Acht … auf der Bahn der Alkoholiker erhob sich ein fröhliches Singen. Ein Patient aus Bayern tanzte einen Schuhplattler.
    Die Abteilung der Zwangsneurotiker und leichten Psychopathen war still und bedrückt. Das Bespucken half. Man sah's. Ein Experte bei den Schizophrenen hatte eine logische Erklärung. Die Kugel wird durch die Spucke schwerer, hält besser die Spur, bekommt einen stärkeren Drall … und wenn es auch Unsinn war, was er sagte, man glaubte es und sah neidisch auf die einfallsreichen ›Säufer‹.
    Der Kunsthistoriker, der vor Beginn des Wettkegelns über ›Nero und die Kegel‹ doziert hatte, hielt einen neuen Vortrag. Mit lauter Stimme berichtete er von Hannibal, der mit Kugeln aus in der Sonne getrocknetem Kamelmist kegelte.
    Und dann geschah das, was den sofortigen Abbruch der Veranstaltung zur Folge hatte. Die Psychopathen und Zwangsneurotiker, angestachelt von den Erfolgen der bespuckten Säuferkugeln, hatten sich auf ein noch besseres siegbringendes Mittel als Spucke geeinigt. Sie machten sich daran, die Hosen aufzuknöpfen.
    »Schluß!« sagte Professor v. Maggfeldt laut, aber durchaus nicht erregt oder erbost. »Schluß, meine Herrschaften! Nächste Woche machen wir weiter.«
    Die Wärter führten ihre murrenden Patienten ab, die Ärzte nahmen sich der etwas schwierigeren Fälle an. Nur ein Schizophrener weigerte sich mitzugehen. Er hatte noch einen Wurf gut und bestand darauf, ihn auszuführen.
    »Ich lasse

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