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Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bahre. Er schwankte noch etwas und war unsicher auf den Beinen. Leicht stützte er sich auf den Arm Dr. Pades. »Und deshalb kegeln wir weiter. Haben wir uns verstanden, meine Herren?«
    »Ja.« Oberarzt Dr. Pade nickte. »Und die Gefahren, die solch eine – sagen wir grob – auf unbewiesenen Behauptungen beruhende Therapie mit sich bringt?«
    »Welche Gefahren, Pade? Heute – das war ein gefährliches Experiment. Ich gebe es zu. Aber alles Kommende ist Erziehungssache. An alle Stationen werden im Laufe dieser Woche kleine Zimmerkegelspiele ausgegeben, und ich mache es jedem Pfleger zur Pflicht, daß er mit seinen Patienten das Kegeln übt! Jeden Tag eine Stunde! So lange, bis sich die Kranken auch an das Verlieren gewöhnt haben. Wenn es einem Raubtierdompteur gelingt, Löwen und Tiger durch feurige Reifen springen zu lassen, und er ihnen beibringen kann, daß sie wie kleine Hündchen Männchen machen, dann sollte es uns Ärzten doch wirklich möglich sein, einem Menschen Selbstdisziplin zu lehren …«
    »Einem Menschen!« Dr. Pade nickte. »Eher dressiere ich einen Tiger, daß er mit einem Schaf in einem Käfig schläft, als daß ich einen Sexualpsychopathen dazu bringe, ruhig und gesittet mit einem kleinen Mädchen durch den Park zu gehen!«
    »Kegeln sollen sie, sonst nichts!« sagte Maggfeldt nach einem langen Blick auf seinen Oberarzt hart. Dann verließ er die Bahn und ging hinüber zu seinem Haus. Er hatte den Kopf gesenkt und war sehr nachdenklich. Sein großer, fast heiliger Idealismus, sein unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen, das keine Krankheit zerstören kann, weil es jener unangreifbare Teil ist, der von Gott kommt, hatte durch den einen leidenschaftlichen Satz seines Oberarztes eine Wunde erhalten. Sie schmerzte ihn sehr. »Es gibt keine bösen Menschen, es gibt nur kranke Menschen!« sagte er zu sich, als er sich vor seinem Eingang die Schuhe abstreifte. Es war der Leitsatz seines Lebens geworden, an ihm wollte er festhalten. Denn auch Bosheit ist eine Krankheit, wie Dummheit eine Krankheit ist.
    An diesem Tage wurde die vierfache Menge an Schlaf- und Beruhigungsmitteln verbraucht. Die Kegelteilnehmer schliefen nur nach einer Injektion. Sie waren zu aufgeregt. Vor allem die Alkoholiker, die ›Sieger‹ des Wettstreits.
    »Jetzt 'ne Pulle Wacholder!« brüllte einer. »Kinder! Kinder!« Er ging ans Fenster, riß es auf und schrie: »Durst!«
    Die Pfleger hatten drei Stunden intensiv zu tun, ehe im Alkoholikerflügel der Anstalt Ruhe eintrat.
    Bis spät in die Nacht hinein brannte in Maggfeldts Zimmer noch das Licht. Er schrieb einen Bericht über diesen ersten Kegelversuch. Und er schrieb als letztes Wort darunter: Mißlungen?
    Die Schreibmaschinentaste mit dem Fragezeichen drückte er dreimal. Dann betrachtete er es und nickte.
    Ein Fragezeichen, dachte er bitter. Das Abzeichen der Psychiater …
    Drei Tage später kam Frau Paulis zu Besuch.
    Ludwig, der Bernhardiner, war mitgekommen. Er wedelte mit seinem riesigen, buschigen Schwanz einen Aktenstoß von Maggfeldts Schreibtisch, als der Professor Frau Paulis begrüßte. Dann legte er den klobigen Kopf auf Frau Paulis' Knie und beobachtete mit rotumränderten Augen jede Bewegung im Zimmer.
    »Ich wollte Ihnen noch einmal danken, Herr Professor … für alles, alles danken …« Frau Paulis streichelte den Kopf Ludwigs. »Damals, da ging alles so schnell. Ich konnte mich noch nicht einmal von Ihnen richtig verabschieden, nicht wahr? Alle sind so lieb zu mir. Ich wohne bei meiner Schwester. Ihr Mann hat ein großes Haus, da habe ich zwei Zimmer bekommen. Und ab nächsten Monat werde ich wieder arbeiten gehen … als Näherin in einer Kleiderfabrik …«
    »Arbeiten?« sagte Maggfeldt erstaunt.
    »Ja.« Frau Paulis nickte. »Da ich als gesund entlassen bin, hat man mir die Rente wieder gestrichen. ›Wer arbeitsfähig ist, soll arbeiten …‹ hat man mir auf dem Amt gesagt. ›Der Professor hat ja geschrieben, Sie sind geheilt.‹ Und da habe ich eine Stellung zugewiesen bekommen.«
    »Wer hat das gesagt?«
    »Erst der Amtsarzt und dann die Sozialfürsorge.«
    Professor v. Maggfeldt schüttelte wie in Gedanken den Kopf. Er sah auf den Bernhardiner Ludwig. Die Frage Dr. Pades stieg in seinem Gedächtnis auf: Was wird sein, wenn Ludwig stirbt? Oder unter ein Auto kommt? Oder von lieben Nachbarn vergiftet wird? Wird Frau Paulis dann wieder eingeliefert werden, mit einem schlimmeren Schock als vorher? Sie hatte dann zweimal ihren Ludwig

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