Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
sich die Zeit damit, Gedichte aufzusagen, Monologe aus klassischen Dramen, die sie einmal in der Schule gelernt hatte … »Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften …« Sie ließ sich Bücher aus der Klinikbibliothek bringen und lernte seitenweise auswendig … sie machte Quiz mit sich: Wie heißt der höchste Berg Mexikos? Wer zog einmal mit einem Heer und Elefanten über die Alpen? Wie hieß der König von Troja?
    Es waren verzweifelte Kämpfe gegen das drohende Gefühl, daß der Wahnsinn schon draußen vor der Tür auf sie lauerte. Am schönsten waren die wenigen Minuten der Unterhaltung mit Dr. Pade. Sie empfand, daß er allen Diagnosen, die man gestellt hatte, mißtraute. Aber er scheiterte seinerseits daran, daß er sich bemühte, Licht in etwas zu bringen, wo gar keine Dunkelheit war. Gisela konnte ihm noch so sehr entgegenkommen, in diesem Punkt war auch er wie blind.
    Pade hatte Gisela eingeweiht in das, was man mit ihr vornehmen wollte.
    »Nach diesen zehn Tagen sieht die Welt anders aus«, sagte er, als er sich neben sie aufs Bett gesetzt hatte und die Schwester, die sie während ihrer Schlafkur betreuen würde, Giselas Armbeuge mit Jod einrieb.
    Gisela lächelte schwach. »Es ist allein schon ein Segen, zehn Tage nichts von dieser Welt zu sehen und zu hören.«
    Dr. Pade blickte zurück. Alles war vorbereitet. Die Tropfeinläufe, die Gisela in den zehn Tagen ernähren sollten, die Injektionsampullen, die Kreislauf-Meßgeräte.
    »Bitte abdunkeln …«
    Die Schwester ließ die Sonnenrollos vor den Fenstern herunter, zog die dichten Vorhänge vor … es war dämmerig im Zimmer, die lange Nacht begann.
    Dr. Pade schaltete eine kleine Lampe ein, griff nach hinten und zog aus der ersten Ampulle das einschläfernde Somnifen in die Spritze. Gisela hob die Hand, bevor er die Nadel einstechen konnte.
    »Ja, bitte? Ist noch etwas?« fragte Dr. Pade freundlich.
    »Wenn ich nicht wieder aufwache«, sagte Gisela tapfer, »würden Sie etwas bestellen? Bitte … benachrichtigen Sie Dr. Budde. Suchen Sie ihn und sagen Sie ihm, was mit mir geschehen ist. Er soll es wissen …« Sie senkte den Arm und schloß die Augen. »Und nun lassen Sie mich schlafen …«
    »Sie werden wieder aufwachen. Ich garantiere dafür.«
    Dr. Pade führte die Hohlnadel in die Armvene ein und injizierte das Somnifen. Dann blieb er neben Gisela sitzen und beobachtete, wie sie aus der Welt wegglitt. Nach zwanzig Minuten schlief sie fest.
    Nach einem bis ins letzte ausgearbeiteten Plan würden diese zehn Tage ablaufen. Alle zwei Stunden Kontrollen von Blutdruck, Puls, Atmung, Temperatur und Schlaftiefe. Dreimal täglich eine Ampulle Somnifen, Ernährung durch sechs rektale Tropfeinläufe von 400 Kubikzentimetern. Vier Einläufe mit der Ringerschen Nährlösung, zwei mit einer Traubenzuckerlösung, zusätzlich Vitamin C, einmal täglich eine halbe Ampulle Lobelin und alle zwei Tage zwei Kubikzentimeter Becocym. Während der Schlafunterbrechungen zur Körperpflege genaue Kontrolle der Trinkmenge, Messungen und Untersuchungen der Ausscheidungen.
    Es gab während der Kur keine Stunde, in der Gisela Peltzner auch nur für Minuten außer Beobachtung gelassen wurde. Die Schwester, Dr. Pade und ab und zu selbst Professor v. Maggfeldt kümmerten sich um sie.
    Was würde am Ende dieser zehn Tage stehen …?
    Während Gisela einschlief; rückten von den Pavillons der Klinik die ausgesuchten Patienten durch den Park zur Kegelbahn-Einweihung an. Nur die Paralytiker sollten morgen drankommen. Es war unmöglich, sie ohne Gefahr mit den anderen zusammenzubringen. Auch die Epileptiker isolierte man und wollte sie am übernächsten Tag kegeln lassen.
    Die anderen aber waren alle heute schon dabei: die Schizophrenen, die Manisch-Depressiven, die Alkoholiker, einige ausgesuchte Psychopathen, Zwangsneurotiker und Hirntraumatiker. Professor v. Maggfeldt empfing sie wie ein Gastwirt in Lederschürze und gab jedem der Irren die Hand und ein Glas Fruchtsaft. Als Kegeljungen hatte man vier Debile genommen, deren Krankheitsprozeß noch nicht so weit fortgeschritten war, daß sie nicht mehr bis neun zählen konnten. Sie hockten in ihrem Verschlag hinter der Kegelaufstellmaschine und harrten der Dinge.
    Sämtliche dienstfreien Ärzte und Pfleger waren versammelt. In einem Raum, den niemand von den Kranken betreten durfte, hatte man ein Arsenal von Spritzen, Tobsuchtsmuffs und sogar alte, längst ausrangierte Zwangsjacken bereitgelegt. Was Professor v. Maggfeldt an diesem

Weitere Kostenlose Bücher