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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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Heimatstadt entfernt, niemand kannte.
    Olaf dagegen dachte in anderen Kategorien. Er empfand sich als politischen Soldaten, was nicht zuletzt seine Ausgehuniform mit dem umgehängten Ehrendolch signalisierte. In dieser Position gab es für ihn keinen Rückzug in die private Nische, und er erwartete das selbstverständlich auch von der Frau an seiner Seite. Für ihn stand selbst unsere private Eheschließung irgendwie im Dienste der Republik. Als Soldat in Uniform hatte ich ihn bislang kaum erlebt, und er wirkte darin fremd auf mich.
    Als unsere Familien sich in der Gaststätte »Zur Völkerfreundschaft« versammelt hatten, holte mich ein leichter melancholischer Trübsinn ein. Olaf hatte den originellen Einfall, das Lied »Und dabei liebe ich euch beide« von Andrea Jürgens aufzulegen, in dem die kleine Sängerin erzählt, wie sie zwischen ihren Eltern hin- und hergerissen ist. Obwohl ich mich stets danach sehnte, mich endlich von meiner Familie zu lösen, befiel mich bei diesen Liedzeilen dann doch eine gewisse Schwermut. Ich hatte jetzt trotz aller Abneigung das Gefühl, dass ich mein Elternhaus vermissen würde. Es war schon paradox: Nun, da die Ablösung aus dem Elternhaus zum Greifen nahe war, begann sie mich schon zu reuen. Die sehr persönliche Ansprache meines Adoptivvaters, aus der herauszuhören war, wie sehr er an mir hing, verstärkten meine Zweifel. Hatte ich womöglich einen Fehler begangen?
    Mein Ehemann war von solchen Unsicherheiten nicht behelligt. Er war am Ziel und feierte das ausgiebig, was seinen Alkoholpegel bis zum Abend beträchtlich ansteigen ließ. Die Aussicht auf unsere Hochzeitsnacht machte das für mich nicht verheißungsvoller, zumal wir diese in seinem alten Kinderbett verbringen mussten, das auf die Maße eines Halbwüchsigen zugeschnitten war. Aus der Warte der Hausfrau dagegen hatte sich der Gang zum Traualtar bereits jetzt für uns gelohnt. Als Starthilfe für unser Zusammenleben sahen wir uns mit so nützlichen Utensilien wie Handtüchern, Bettwäsche und einem Schnellkochtopf ausgestattet.

[home]
    25 .
    U nser Eheleben begann in einem Ferienheim der Nationalen Volksarmee im Kurort Bad Elster. Hier konnte Olaf sich rasch von den Nachwirkungen der Hochzeitsfeier erholen, denn statt Obstwasser galt es dort Heilwasser zu trinken. Die friedliche Umgebung im waldreichen Vogtland tat uns beiden gut, und wir fanden zu der entspannten Vertrautheit zurück, wie ich sie in der Zeit unseres Kennenlernens zu schätzen gelernt hatte. Jede nette Geste, jedes lieb gemeinte Wort von ihm saugte ich auf wie ein ausgetrockneter Schwamm.
    Die Harmonie hielt so lange an, bis wir im Kurbetrieb ein anderes junges Paar kennenlernten, das bereits der Geburt seines ersten Kindes entgegensah. Der werdende Vater ließ sich jedoch nicht davon abhalten, mich reichlich mit Komplimenten zu bedenken, was Olafs Eifersucht umgehend aktivierte. Aber eine ernsthafte Gefahr für den Ehefrieden bedeuteten seine mahnenden Vorwürfe nicht. Schließlich hatten wir wichtigere Vorhaben: Unsere künftige Familie sollte mit mindestens zwei bis drei Kindern gesegnet sein.
    Umso ernüchternder wirkte auf mich eine Entdeckung, die ich drei Wochen nach unseren Flittertagen im Kurbad während eines Kurzurlaubs in meinem künftigen Ehedomizil auf Rügen machte. Während Olaf seinen Dienst bei seiner Einheit in Prora versah, stöberte ich aus Langeweile in seinen überschaubaren Buchbeständen, die er in einem massiven Eichenschrank, einem Erbstück seiner Familie, aufbewahrte. Dabei fiel ein Band auf den Boden.
Sonjas Rapport
stand auf dem Umschlag des Buches, das offenbar nur flüchtig in die Buchreihe geschoben worden war. Zwischen den Seiten lugte ein amtlicher Schein heraus, auf dem »Studienvorbescheid« stand.
    Ich brauchte nicht lange zu überlegen, sondern stürmte aus der Wohnung und lief zur nächsten Kaufhalle, in der sich ein Münztelefon befand. Von dort aus rief ich meinen Mann an. Zu meinem Ärger merkte ich, wie meine Stimme höher, lauter und schriller als sonst klang, während ich die Sprechmuschel beschwor: »Denkst du denn gelegentlich mal daran, dass wir eben erst geheiratet haben? Glaubst du nicht, dass so eine Ehe eine Vertrauensgrundlage braucht?«
    Olaf, der sich wohl nur schwer ausmalen konnte, worauf ich hinauswollte, vertagte das klärende Gespräch auf den Abend. Im Rückblick ist mir klar, dass er als Offizier bei Telefonaten über den Dienstapparat vorsichtig sein musste.
    Nach seinem Dienstschluss

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