Entrissen
und in der Folge hoffentlich auch zur Mutter stand jetzt nichts mehr im Wege. Für die Hochzeitsfeier mieteten wir den Nebenraum der HO -Gaststätte »Zur Völkerfreundschaft« in Arnstadt, Olafs Heimatstadt. Mutti brachte einige Bekannte dazu, Kuchen zu backen, und Vatis Beitrag war ein riesiger, biedermeierlicher Brautstrauß. Als nützlich erwiesen sich für ihn dabei seine neuen beruflichen Kontakte. Aus gesundheitlichen Gründen hatte er die Maurertätigkeit aufgeben müssen und arbeitete inzwischen im Konsum in Langenberg. Dort ließ sich ein dringend benötigtes Gebrauchsgut schon mal unter der Hand besorgen – wenn es sein musste, auch ein üppiger Blumenstrauß.
Für die Wahl meines Hochzeitskleides fand sich ebenfalls eine kostengünstige und durchaus DDR -typische Lösung: Meine Tante Irene, eine ausgebildete Schneiderin, nähte mir aus Tüll und Spitze eine klassische weiße Robe. Die Schwester meines Vaters hatte Muttis Garderobe wohl schon öfter mit handgefertigten Röcken, Hosen, Blusen, Kleidern und Kostümen bereichert, allerdings gegen Bezahlung. Wegen eines Geschwisterzwists mied die Näherin nämlich jede Familienfeier. Den Stoff für mein Gewand besorgte ich selbst, aber das Nähen des Kleides war ein Geschenk meiner Tante.
Olaf wiederum sparte sich die Kosten für den Erwerb eines Anzugs komplett: Er wollte einfach in seiner Ausgehuniform zum Standesamt gehen. Mir war diese Lösung eher unangenehm, da ich keinen Wert darauf legte, als Offiziersbraut vor den Trautisch zu treten. Die Uniform würde garantiert einige Blicke auf sich ziehen, aber auch Urteile festigen. Wieder hatte ich Angst vor dem bekannten Muster, das mich gefangen hielt. Katrin, die Tochter der Lehrerin, der Parteisekretärin – und jetzt die Frau des Politoffiziers: die »rote Socke«. Wie sollte ich jemals loskommen von diesen Stereotypen? Olaf ließ sich jedoch nicht von seiner Idee abbringen. Sicher ging es ihm nicht allein um den Spareffekt, es war für ihn eine Frage der Ehre, an diesem Festtag sein Vaterland zu repräsentieren.
Zu allem Überfluss war er dabei nicht allein. Als wir uns am 14 . November 1986 im engsten Kreis in Arnstadt versammelten, hatte mein künftiger Ehemann einen älteren Offizierskameraden, den ich nur flüchtig kannte, an seiner Seite – ebenfalls in Uniform. Olaf beschwichtigte mein Unbehagen über den militärischen Begleiter mit dem Hinweis, dass wir schließlich jemand benötigten, um ein paar Fotos zu knipsen. Die Anzahl der Aspiranten für diese Aufgabe war in der Tat nicht groß, denn der Kreis unserer Hochzeitsgäste blieb sehr überschaubar. Mein Bräutigam hatte noch zwei Schwestern, zu denen ich auf Anhieb einen guten Draht fand. Hiltrud, die ältere, wohnte mit ihrer Familie und drei Kindern in Arnstadt, während die jüngere Schwester, Kerstin, mit ihrem Mann, einem Glasbläser, und ihrem Sohn in Neuenhagen bei Berlin lebte. Beide waren deutlich älter als ihr kleiner Bruder, elf bei der einen und sogar neunzehn Jahre bei der anderen betrug der Altersunterschied.
So hatte Olaf als spätes Nesthäkchen in Jugendjahren die beinahe ungeteilte Zuwendung seiner Mutter genossen. Als ihr Sohn eine Lehre als Gleisbaumechaniker antrat, war die Hausfrau sogar eigens putzen gegangen, um sein karges Lehrgeld etwas aufbessern zu können. Olafs Vater hatte nach der Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft als Autoschlosser gearbeitet, war dann aber wegen seiner Rückenprobleme in den Krankentransportdienst übergewechselt. Richtige Freunde meines künftigen Gemahls waren mir bislang nicht begegnet. Mit Regimentskameraden pflegte er vorwiegend dienstlichen Kontakt. Sein Nachbar Steffen in Binz schien eher ein flüchtiger Bekannter zu sein. Für die Gästeliste einer Hochzeitsfeier waren seine Verbindungen nicht eng genug. In dieser Hinsicht war ich meinem Bräutigam ähnlich. Im Grunde waren wir zwei einsame Menschen, die sich da zusammengefunden hatten.
Und dann war es endlich so weit. Noch etwas benommen vom Polterabend am Vorabend, stiegen wir am Vormittag des 14 . November 1986 in eine geschlossene, weiß glänzende Pferdekutsche. Ein Bild wie aus dem Märchenbuch. Mein Adoptivvater trug den Brautstrauß, alle waren festlich gekleidet. Aus den Fenstern der umliegenden Häuser lugten die Nachbarn neugierig heraus, und ich spürte eine Aufgeregtheit wie selten zuvor. Mein Leben würde jetzt unwiderruflich eine neue Wendung nehmen.
Die Kutsche hielt vor dem prachtvollen
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