Entrissen
aus persönlichen Gründen abgelehnt. Darauf hätten ihn die Vorgesetzten regelrecht in die Zange genommen, von ihm sogar die Scheidung verlangt, wie Olaf behauptete. Er aber habe allen Umstimmungsversuchen wacker widerstanden und sogar wie Romeo verkündet, dass er mich zu sehr liebe, um unsere Ehe wegen des Studiums aufs Spiel zu setzen.
Ich wurde ganz weich. Mein Einspruch schien Gehör gefunden zu haben. Nun, da er mir so überraschend nachgegeben hatte, plagten mich Selbstzweifel: Hatte ich nicht doch überreagiert und durch meinen Eigensinn Olafs Karriere zerstört?
Allerdings brachte sein Entgegenkommen nicht zugleich auch größere Transparenz in unser Eheleben. Bei meinem nächsten Besuch in Binz fand ich eine komplett in heller Eiche lackierte Schlafzimmereinrichtung vor. Mein Gatte hatte ohne Rücksprache mit mir einen Teil des Ehekredits ins Möbelgeschäft getragen und eine Wahl getroffen, die mit meinem Geschmacksempfinden nicht die geringste Schnittmenge hatte. Und nicht nur das: Durch Zufall entdeckte ich auf dem Schrank einen mit dunkelbraunem Velours bezogenen Kinderwagen. Olaf hatte ihn von einer Nachbarin geschenkt bekommen. Mich hatte er nicht gefragt. Dabei war ich noch nicht einmal schwanger.
Olafs Eigenmächtigkeiten ließen mich an einem Einvernehmen mit ihm zweifeln. Trotzdem: Ich durfte um keinen Preis aufgeben, schließlich wollte ich beweisen, dass ich verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen verstand und nicht bereits bei den ersten Schwierigkeiten Reißaus nahm. Besonders vor meinen Eltern wollte ich nicht als Versagerin dastehen.
Meine Schwangerschaft im Frühjahr 1987 verhieß neue Hoffnung – aber leider nur für kurze Zeit. Während einer Visite mit der Chefärztin auf der Krankenstation rutschte ich auf dem frisch geputzten Linoleum aus und landete unsanft auf dem Steiß. Im Ultraschallgerät waren zunächst keine nachteiligen Folgen für das Baby erkennbar, dann aber erstarben die Herztöne, und im Juni folgte die Fehlgeburt. Mich schmerzte dieser Abschied wie jeder Tod eines Familienmitglieds. Mein Leid löste sich in Tränen auf. Meine Mutti stand mir in dieser Zeit als treue Trösterin zur Seite, schließlich wusste sie aus eigener, leidvoller Erfahrung, was eine um ihre frohe Hoffnung beraubte Schwangere empfand.
Nur meinem Ehemann vertraute ich mich nicht an. Wir hatten vereinbart, dass ich ihn anrief, falls etwas Gravierendes geschehen würde, aber ich griff nicht zum Telefon. Ich wollte meinen Kummer mit ihm lieber von Angesicht zu Angesicht bereden. Sobald ich aus der Klinik entlassen war, setzte ich mich in den Zug Richtung Rügen. Doch auch hier fanden wir nicht in ein tiefgreifendes Gespräch miteinander, um den Verlust des Babys gemeinsam zu bewältigen. Mich hatte nie jemand gelehrt, Probleme und Kummer offen anzusprechen, und auch Olaf machte lieber mit sich selbst aus, was ihn bedrückte. Ich hoffte, dass unser künftiges enges Zusammenleben zu mehr Austausch und Offenheit führen würde.
Nach dem Abschlussexamen an der Geraer Schwesternschule im Sommer 1987 , das ich in der praktischen Prüfung mit der Note Eins und in der Theorie mit einer Drei bestand, durfte ich mich endgültig als von meinen Fußfesseln gelöst betrachten. Als verheiratete Frau war ich von der Verpflichtung, nach dem Examen noch drei weitere Jahre in der Ausbildungsklinik weiterzuarbeiten, befreit. Zum ersten Mal durfte ich meiner Heimatstadt dauerhaft den Rücken kehren. Die anstrengenden Wochenendausflüge an die Ostsee hatten ein Ende, ebenso wie das behütete Jungmädchendasein in meinem Elternhaus. Jetzt fühlte ich mich richtig befreit, bereit für einen neuen Lebensabschnitt. Erleichtert wurde mir dieser Schritt durch die neue Zweiraumwohnung, die uns als Ehepaar künftig zustand. Damit musste ich mir endlich auch nicht mehr wie eine Besucherin in Olafs Junggesellenbude vorkommen.
Im August 1987 fuhren wir mit seinem Trabant, den er – ebenfalls ohne Rücksprache mit mir – gebraucht erworben hatte, nach Gera, um einen Schlussstrich unter meine Kindheit zu ziehen. Bezeichnenderweise war meine Adoptivfamilie abwesend, als ich mit meinen wenigen Habseligkeiten mein Ersatzelternhaus verließ. Nur wegen meines Auszugs hatten sie ihre allsommerliche Urlaubsreise nicht verschieben wollen. Die offenkundige Ignoranz meiner Eltern machte mich wütend: Wie eine Hausangestellte musste ich mich aus dem leeren Zuhause schleichen, nicht einmal ein würdiger Abschied war mir
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