Entrissen
empfing ich ihn auf seinem roten Sofa mit verschränkten Armen und versuchte mühsam, meine Wut in Schranken zu halten. Was war geschehen? Was sollte daran verwerflich sein, wenn Olaf ein Universitätsstudium aufnehmen wollte? Meine Irritation erklärt sich aus den Besonderheiten des Bildungszugangs in der DDR . Wenn ein Offizier im Rahmen seiner militärischen Ausbildung eine akademische Laufbahn einschlagen wollte, nahm der Staat den Aspiranten ganz besonders kritisch unter die Lupe. Schließlich sollten die hoch subventionierten Studienplätze keinesfalls potenziellen Republikflüchtlingen oder gar Spionen zugutekommen, die ihr Wissen dem Klassenfeind ausliefern würden.
Um einen möglichst soliden Eindruck abzugeben, empfahl es sich daher für Studienbewerber in sensiblen Sicherheitsbereichen, einen untadeligen Lebenswandel vorzuweisen. Ledige Bewerber galten in dieser Hinsicht als unsichere Kantonisten. Die bindende Lebensgemeinschaft hingegen, so das Kalkül des Staates, verlieh dem Hochschulabsolventen nicht nur die notwendige Wertbeständigkeit, sondern er hatte auch einen Grund mehr, in die Heimat zurückzukehren.
Mit anderen Worten: Die eigene Frau im Haus galt gewissermaßen als Faustpfand für die Republiktreue. Und dieses Faustpfand, das das Studium ermöglichen sollte, war in Olafs Fall ich. Während mich Skrupel plagten, ob ich für meinen Gatten ausreichend Liebe empfand, hatte der Studienbescheid in mir den Verdacht wachgerufen, dass bei seinem Heiratsentschluss womöglich Berechnung im Spiel gewesen war. Diente unsere Trauurkunde ihm lediglich als Eintrittskarte für seine Hochschule?
Kaum hatte Olaf die Wohnung betreten, hielt ich ihm den Bescheid hin und fragte: »Was hat das denn hier zu bedeuten?«
»Das ist erst die Studienzulassung. Es geht sowieso erst frühestens im nächsten Herbst los. Bis dahin muss ich erst noch einige Tests absolvieren. Mehr darf ich über dieses Studium nicht sagen«, versuchte er abzuwiegeln.
»Warum hast mir gegenüber denn niemals etwas davon erwähnt?«, fragte ich eindringlich.
»Weil ich Angst hatte, deine Liebe zu verlieren«, gab er, in die Defensive gedrängt, kleinlaut zurück.
Doch mich besänftigte diese Erklärung nicht. Dass mein Ehemann ohne mein Wissen sein Leben verplante und mich der Aussicht überließ, die ganze Woche allein in unserer künftigen Wohnung auf ihn zu warten, während er als Hochschüler unter den Fittichen der für Auslandsspionage zuständigen Hauptverwaltung Aufklärung isoliert war, brachte mich in Rage. Im Gespräch mit der Frau eines Regimentskameraden von Olaf, die die meiste Zeit über eine Fernbeziehung führen musste, hatte ich erfahren, wie belastend die erzwungene Trennung für die Zweisamkeit sein konnte. War das meine baldige Bestimmung? Hausfrau und Strohwitwe eines Gatten, der ein undurchschaubares Eigenleben führte?
Was würde erst geschehen, wenn Olaf nach vier Jahren sein Studium absolviert hätte? Ich fragte ihn.
Er räumte offen ein, dass nach dem Studienabschluss ein Einsatz als Kundschafter im kapitalistischen Ausland denkbar sei, also Spionage. Einzelheiten dürfe er mir aber nicht verraten.
»Das heißt«, konstatierte ich, »du bist irgendwo außer Landes, und ich hab keine Ahnung, was du tust, wo du bist und wann du wiederkommst? Ist es das?« Unsere Pläne, gemeinsam eine Familie zu gründen, schienen sich in Luft aufzulösen. Jedenfalls wäre ich unter diesen Umständen die meiste Zeit mit den Kindern allein. Wie ich es auch drehte und wendete, in diesem Spiel fürchtete ich, die Niete zu ziehen. Daher erklärte ich ihm, vielleicht etwas drängender, als es sonst meine Art war: »Du kannst das Studium gerne beginnen, aber dann mache ich auf dem Absatz kehrt und bin aus deinem Leben verschwunden!«
Dieses Ultimatum ließ Olaf nicht unbeeindruckt. Er flehte mich regelrecht an, wenigstens die bevorstehende Eignungsprüfung noch ablegen zu dürfen. Seine Zukunftsplanung jedoch, das spürte ich, hatte ich ins Wanken gebracht.
Schon der Eingangstest für die Studienanwärter war in den dichten Nebel der Geheimhaltung gehüllt. Olaf musste laut seiner Schilderung sogar eine Augenbinde anlegen, um den Ort des Examens, einen Bunker in der Nähe von Strausberg, später nicht mehr identifizieren zu können.
Den Test bestand er, dennoch war meine Intervention nicht vergeblich geblieben. Beim abschließenden Aufnahmegespräch, so berichtete mein Mann nach seiner Rückkehr, habe er den Antritt des Studiums
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