Entscheide dich, sagt die Liebe
Regenbogenpresse«, Dr. Schütz errötete, als hätte er soeben ein unanständiges Wort ausgesprochen, »hatte Ihr Vater eine Affäre mit Frau Wendling.«
»Was?« Sie sprang so abrupt auf, dass sie beinahe ihren Stuhl zu Fall gebracht hätte. Ein flaues Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Unglaublich! Paps sollte … Ausgerechnet mit der Wendling? Einer Frau, die nur wenig älter war als Clara selbst? Und sie hatte nichts – NICHTS! – davon gewusst! Sie atmete ein paarmal tief durch. Rang um Fassung. Dann ließ sie sich langsam zurück auf den Stuhl gleiten. Sie schüttelte den Kopf. Sicher, ihr Vater war ein lebenslustiger Mann gewesen. Dem Feiern nach getaner Arbeit nicht abgeneigt. Und er hatte ein Faible für schöne Frauen gehabt. Aber dass er sich in seinem Alter noch eine junge Geliebte zugelegt hatte, das konnte sie kaum fassen.
»Und was mache ich jetzt?« Die Nashörner schienen näher zu kommen und Clara zu umkreisen.
»Sie müssen das Erbe antreten und die Villa verkaufen. Nehmen Sie sich einen tüchtigen Immobilienmakler und hoffen Sie, dass das Haus zu einem Spitzenpreis weggeht, der die Hypothek und die Begräbniskosten abdeckt.«
Clara erstarrte innerlich. In der Villa Prachensky war sie aufgewachsen. Dort stand ihr Flügel. Die Vorstellung, dieses Stück Heimat aufgeben zu müssen, schmeckte bitter. Trotzdem hatte Dr. Schütz bestimmt recht. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
»Oder zumindest den größten Teil der Begräbniskosten«, sagte er und überreichte ihr das Visitenkärtchen eines Immobilienbüros. »Dazu werden Sie den besten aller Makler brauchen.«
Die Nashörner nickten, als Clara die Erbantrittserklärung unterschrieb. Sie gerieten beinahe ins Straucheln, als Dr. Schütz ihre Hand schüttelte, sie hinausbegleitete und ihr viel Glück wünschte.
Das Ü von Glück hallte noch in ihren Ohren nach, als sie längst wieder zu Hause war. Schweren Herzens suchte sie Amelie in der Küche auf.
Ihre ehemalige Kinderfrau rührte in einem großen Topf. »Was hältst du von einem feinen Hühnersüppchen?«
Clara hätte heulen können, aber sie riss sich zusammen. Stockend berichtete sie, wie es um ihre Finanzen stand. Amelie wirkte alles andere als überrascht. Mit der ihr eigenen Selbstverständlichkeit putzte sie das Suppenhuhn, rieb es mit Salz ein und legte es in den Topf. »Es tut mir so leid für dich, Kindchen.«
»Ich werde mir dich nicht länger leisten können.«
»Mach dir um mich keine Sorgen. Ich habe doch längst das Pensionsalter erreicht. Und für meinen Lebensabend habe ich beizeiten vorgesorgt.«
»Ich weiß nicht einmal, ob ich dir eine entsprechende Abfindung bezahlen kann.«
»Von wegen Abfindung! Wusstest du nicht, dass dein Vater meinen Lohn immer für ein halbes Jahr im Voraus überwiesen hat? Du schuldest mir nichts.«
»Auf keinen Fall. Aber wo wirst du hingehen? Ich muss das Haus verkaufen. Keine Ahnung, wie lange wir noch hier wohnen können.«
»Ich habe schon vor ein paar Tagen mit Philipp telefoniert. Er nimmt mich auf, bis ich eine eigene Wohnung gefunden habe.«
Clara staunte. Amelie hatte bereits mit ihrem Sohn darüber gesprochen und Vorkehrungen getroffen. »Dann hast du also Bescheid gewusst? Über Paps’ finanzielle Situation? Über seine Affäre mit der …« Der Name Wendling ging ihr nicht über die Lippen.
Amelie schüttelte den Kopf, sah Clara dabei aber nicht an. »Ich hab mir halt gedacht, dass du mich nicht mehr brauchen wirst.«
Die Erklärung befriedigte Clara nicht. Die Vorstellung, dass Amelie, dass womöglich die ganze Welt mehr über ihren Vater gewusst hatte als sie selbst, bohrte sich wie ein Stachel in ihr Fleisch. Sie zog sich in ihr Zimmer zurück. Wie lange würde das noch ihr Refugium sein? Und würde sie sich auch von ihrem Flügel trennen müssen? Als sie das schwarze Monstrum besorgt betrachtete, fiel ihr Blick auf den Brief, den Dillinger vor wenigen Stunden dort hingeworfen hatte.
Sie nahm ihn in die Hand. Dem edlen Briefpapier, der schwungvollen Handschrift und der grünen Tinte nach zu urteilen, musste der Conte Minotti ein furchtbar altmodischer Mensch sein. Sie las die Einladung, anlässlich der Geburtstagsfeier seiner Mutter ein Konzert in der Ca’ Minotti zu geben, einem Palazzo aus dem 17. Jahrhundert. Der Text war ausgesprochen höflich und in perfektem Deutsch abgefasst. Ein wenig pathetisch, aber geschmeidig formuliert. Nicht einmal einen Kommafehler konnte Clara entdecken. Unter dem
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