Entscheide dich, sagt die Liebe
Einladungstext standen noch einige Zeilen. Ein Gedicht!
Clara, du heller Stern
Am Firmament der Musik:
»Wolfgang«, hüpft dein Herz,
»Amadé«, blühen deine Finger,
»Mozart«, singt deine Seele und hat uns
Wieder das Staunen gelehrt,
Das wir seit Kindertagen vermissten.
Sie lächelte. Wenn die Verse auch nicht ihren Geschmack trafen, vielleicht weil sie mit Gereimtem generell nicht viel anfangen konnte, so musste sie doch anerkennen, dass sie eine gewisse Leichtigkeit verströmten. Einen wehmütigen Duft. So seltsam das klang, das Gedicht berührte sie. Und sie fand es bewundernswert, dass ein Italiener so mit einer Fremdsprache umgehen konnte.
Der junge Mann, der nach dem Konzert so aufdringlich gewesen war, hatte nur gebrochen Deutsch gesprochen. Dieser Conte Minotti dagegen beherrschte es, als wäre es seine Muttersprache. Obwohl sich immer noch alles in ihr sträubte, nach Venedig zu fahren, beruhigte sie die Tatsache, dass es sich bei dem Grafen nicht um den unverschämten Schönling handeln konnte.
Clara überlegte nicht lange, sie hatte ja auch keine Wahl. Sie musste Geld verdienen. Also griff sie nach ihrem Handy und rief Dillinger an.
D aniele setzte sich auf einen der Stühle, die im Halbkreis um den Flügel aufgestellt waren. Natürlich handelte es sich um keinen gewöhnlichen Stuhl, sondern um eine Antiquität mit verschnörkelten Schnitzereien, die sich hart in seinen Rücken drückten. Er ließ die Blicke schweifen und fühlte sich wie ein Fremdkörper. Als hätte man ihn in ein früheres Jahrhundert gebeamt.
Eine Brünette im türkisfarbenen Seidengewand, die sich ächzend in den Stuhl neben seinem fallen ließ, wedelte mit einem Spitzenfächer vor ihrer spitzen Nase herum. Ein Herr im Frack glitt auf sie zu und reichte ihr eine Champagnerflöte. Sie nahm sie, führte sie mit abgespreiztem kleinen Finger zum Mund und nippte daran.
Daniele schüttelte sich. Mit jeder Minute, die er in der Ca’ Minotti verbrachte, kam er sich deplatzierter vor. Aus sicherer Entfernung beobachtete er die vornehme Contessa, Paolos Mutter, beim Tuscheln mit ihren ebenso vornehmen Freundinnen. Wie affektiert sie den Kopf zurückwarf und dabei die Klunker zur Schau stellte, die ihren Hals doppelreihig zum Glitzern brachten! Sie war noch immer eine attraktive Frau, schlank und – dank chirurgischer Nachhilfe – faltenlos. Keinen Tag älter als achtunddreißig sah sie aus, dabei feierte sie ihren Fünfzigsten. Doch all ihre Schönheit und das perfekte Styling konnten die Eiseskälte, die sie ausstrahlte, nicht übertünchen. In ihren Augen wohnte Saturiertheit, Langeweile zog ihre Mundwinkel nach unten. Zum Glück hatte Paolo nur ihr Aussehen geerbt und das Händchen fürs Geschäftliche, nicht aber den Charakter oder die Standesdünkel.
Der missbilligende Blick, mit dem die Contessa Daniele bei der Begrüßung bedacht hatte, brannte noch immer auf seiner Haut. Die Augäpfel waren fast aus ihren Höhlen gesprungen, als sie die Umrisse des Bierunfalls auf seiner weißen Jeans entdeckt hatte, dabei hatte er die Hose mit Gallseife behandelt und zweimal gewaschen. Sein grauer Wollpulli, der an den Ellenbogen schon ziemlich fadenscheinig war, gab ihr den Rest. Vermutlich hätte Ihre gräfliche Durchlaucht gnädiger geguckt, wenn es sich um eine Jeans von Armani und einen Kaschmirpulli von Kenzo gehandelt hätte. Aber das Label »Billigprodukt aus dem Discounter«, das Daniele anhaftete wie ein schlechter Geruch, war ihr natürlich als Erstes ins Auge gesprungen. Sie zischelte etwas ins Ohr ihres Sohnes.
»Selbstverständlich Mutter, eine blendende Idee!« Paolo führte Daniele in sein Schlafzimmer. Er wühlte in seinem monströsen Kleiderschrank und holte einen Anzug aus Naturseide hervor. »Am besten ziehst du dir den an. Mir ist er leider etwas zu eng geworden, aber dir müsste er passen.«
»Muss ich mich wirklich verkleiden?«
»Du weißt ja, wie meine Mutter ist.« Paolo verdrehte die Augen. »Immerhin hat sie heute Geburtstag. Deshalb bitte ich dich um diesen Freundschaftsdienst. Damit sie nicht schon am Anfang etwas zu meckern hat.«
Seufzend zog Daniele die Hose an. Sie saß etwas locker, aber mit einem Gürtel konnte er sie tragen. Die Ärmel des Sakkos waren eine Spur zu lang. Am meisten aber störte ihn, dass er sich selbst beinahe nicht erkannte, als er in den Spiegel sah. Er fühlte sich wie ein Hochstapler. In diesem Augenblick hatte er es zum ersten Mal bereut, Paolos Einladung
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