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Entscheide dich, sagt die Liebe

Entscheide dich, sagt die Liebe

Titel: Entscheide dich, sagt die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siri Goldberg
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das Kuvert hin und her und öffnete es endlich. Das Papier wog schwer in ihrer Hand. Ein zartherber Duft wehte ihr entgegen. Männerparfüm?
    »Sehr geehrte Frau Prachensky!«, las sie und beim Anblick der vielen Schnörkel und der grünen Tinte rümpfte sie die Nase.
    »Zugegeben, es klingt alles ein bisschen schwülstig. Aber hast du gesehen, welche Gage er dir bietet?« Dillingers Äuglein funkelten gierig. »Siebentausend Euro!«, platzte er heraus.
    »Da musst du dich wohl um eine Null verlesen haben.«
    »Hier steht es schwarz auf weiß.« Er stippte seinen dicken Zeigefinger auf die Stelle des Briefes, die ihn so offensichtlich glücklich machte.
    Tatsächlich. Die Zahl stimmte.
    »Der Herr Graf ist sogar bereit, die Summe nach oben zu korrigieren, um seiner Mutter ihren Herzenswunsch zu erfüllen.« Dillinger grinste. »Der muss Geld haben wie Heu. Und seine Frau Mama hat offensichtlich einen Narren an dir gefressen.« Er rieb sich den Bart. »Wir verlangen achttausend. Ich spüre, dass er darauf einsteigen wird. Ich hab’s im kleinen Finger.«
    »Das wäre Wucher, da mache ich nicht mit. Außerdem …«
    Clara gab Dillinger den Brief zurück. »Außerdem spiele ich aus Prinzip nicht auf Feten, und wenn sie noch so vornehm sind.« Paps hätte mit der »Entwertung der Musik« argumentiert und dass man Mozart, Beethoven, Schubert oder gar Brahms so etwas nicht zumuten könne. Was sie Dillinger gegenüber nicht erwähnte, war die Tatsache, dass sie sich davor fürchtete, schon nächste Woche wieder aufzutreten. Sie brauchte mehr Zeit. Alles war noch so frisch, der Schock, der Schmerz, die Leere danach.
    »Was für ein gequirlter Blödsinn!« Dillingers Bart wackelte bedrohlich. »Du willst eine professionelle Pianistin werden und vom Klavierspielen leben? Und schlägst so ein Angebot aus? Wenn sich das herumspricht, werden dich alle für eine unberechenbare Zicke halten! Eine Diva, die zwar noch nicht viel Konzerterfahrung vorzuweisen hat, aber umso mehr Starallüren.« Er zog seine Wollmütze tiefer in die Stirn. »Für so eine königliche Gage muss man alles machen. Alles, hörst du? Und wenn es darum ginge, O sole mio zu spielen oder die italienische Nationalhymne.« Dillinger schnaubte vor Empörung.
    Aber Clara ließ sich nicht einschüchtern. Sie hatte nicht nur das musikalische Talent von ihrem Vater geerbt, sondern auch den Dickkopf. »Nein, Richard. Ich werde nicht spielen. Tut mir leid, aber das ist mein letztes Wort.«
    Dillinger öffnete den obersten Hemdknopf und schnappte nach Luft. Die satte Summe, die ihm da durch die Lappen zu gehen drohte, raubte ihm offensichtlich den Atem. »An deiner Stelle würde ich mir das gut überlegen«, knurrte er, schmiss den Brief des Conte auf den Flügel und stürmte hinaus.
    Clara starrte ihm kopfschüttelnd nach. Sie musste über seinen temperamentvollen Abgang schmunzeln. Doch ein ungutes Gefühl blieb zurück, eine Art böser Vorahnung, die sie nicht fassen konnte.
    Unsinn. Sie schüttelte alles Negative ab und widmete sich wieder der Appassionata. Spielte ein paar Takte, hielt inne. Sann dem Klang nach. Ihre Gedanken schweiften aber immer wieder zu dem verflixten Schreiben.
    Ob dieser Conte Minotti mit dem rotblonden Kerl identisch war, der sich so aufdringlich gebärdet hatte? Sie konnte es nicht glauben. In ihrer Vorstellung waren Grafen gesetzte Herren mit grauen Schläfen, die Gehröcke trugen und Ebenholzstöcke mit silbernem Knauf schwenkten. Außerdem musste der Verfasser eines dermaßen altmodischen Briefes mindestens auf die sechzig zugehen, seine Mutter feierte vermutlich ihren Achtzigsten. Der rotblonde Frechdachs konnte dagegen nicht viel älter sein als fünfundzwanzig. Aber wozu sollte sie sich darüber den Kopf zerbrechen, wenn sie ohnehin nicht vorhatte, die Einladung anzunehmen?
    Clara versuchte, ihre Gedanken auf ihre Arbeit zu fokussieren. Vergeblich. Die Konzentration war beim Teufel. Mit resignierendem Schulterzucken gab sie auf und schloss den Klavierdeckel.
    Inzwischen war es ohnehin Zeit, sich auf den Termin beim Notar vorzubereiten, der ihr schon seit Tagen im Magen lag. Es handelte sich um eine Einladung zur Todfallaufnahme. Dazu musste Clara einen ganzen Stapel an Dokumenten mitbringen, sämtliche Bankpapiere ihres Vaters, die Kontoauszüge, die Wertpapiere, eine Aufstellung über die Immobilien, die er besaß, und das Testament. Ihr graute davor. Zum Glück hatte Amelie gewusst, wo er seine Dokumente aufbewahrt hatte, sonst wäre

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