Entscheide dich, sagt die Liebe
runden Augen herumtupfte, packte er sie und verstaute sie in seiner rechten Tasche. Dann sah er sich erschrocken um.
Die Brünette an seiner Seite würdigte ihn keines Blickes. Sie starrte auf die Bühne und lauschte mit offenem Mund. Alle Festgäste waren in die Musik versunken, niemand hatte den Aufruhr in seinem Inneren bemerkt.
Erleichtert ließ auch Daniele sich in die wunderbaren Klänge hineinfallen. Er schloss die Augen und endlich, endlich fiel die Anspannung von ihm ab, die ihn umklammert hielt, seit er seinen Fuß in den Palazzo gesetzt hatte. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, das ihn bis zum Ende des Konzerts wärmte und ihn auch das anschließende Festmahl überleben ließ.
Daniele versuchte, das unerfreuliche Ambiente auszublenden, und machte sich mit Appetit über die feinen Speisen her. Aus dem Augenwinkel beobachtete er Paolo, der neben der Pianistin saß und ihr offensichtlich so viel zu erzählen hatte, dass er kaum zum Essen kam. Die halben Jakobsmuscheln ließ er zurückgehen und auch von seiner Portion des Lammbratens schaffte er nur die Hälfte. Das Zitronensorbet vergaß er während des Löffelns. Es schmolz und tropfte in die Glasschale zurück.
Die Pianistin aß noch weniger als er. Sie ließ Paolos Redeflut über sich niederprasseln, stocherte in ihrem Essen und schien in irgendeinem Kummer gefangen zu sein, der wie ein Schatten auf ihren Schultern lag. Während des Klavierspiels hatte sie lebendig gewirkt, jetzt waren ihre Gesichtszüge zu einer Maske erstarrt.
Ich bin nicht der Einzige, der sich hier nicht wohlfühlt, dachte Daniele.
Nach dem Abendessen führte Paolo seine Angebetete in den Garten, vermutlich um ihr den beleuchteten Brunnen zu zeigen. Daniele folgte den beiden und gesellte sich zu einem Grüppchen von Rauchern. Seine brünette Konzertnachbarin war auch da. Er überwand seine Abneigung gegen ihr affektiertes Getue und schnorrte sie um eine Zigarette an, obwohl er seit Jahren nicht mehr rauchte. Die Kippe schmeckte abscheulich. Er zog nur einmal daran, musste husten und hielt sich anschließend an ihr fest, bis sie verglüht war.
Später, als im Salon zu dezenter Musik getanzt wurde, setzte er sich in eine Ecke und beobachtete die Tänzer. Ein dicker Mann mit Frack ließ sich von der Contessa auf die Zehen steigen, ein schneeweißer Opa schmiegte sich an eine junge Frau im silbergrauen Paillettenkleid, die Daniele an einen Thunfisch erinnerte. Auf den Foxtrott folgte ein Walzer, und Paolo schwenkte Clara herum und hörte nicht auf, ihr tief in die Augen zu schauen.
Und plötzlich stand Madison vor Daniele, die Amerikanerin. Die Wunschschwiegertochter der Contessa, die nicht wahrhaben wollte, dass Paolo sie – Hotelimperium hin oder her – längst abgeschrieben hatte. In ihrem grauenhaften Italienisch forderte sie Daniele zum Tanzen auf. Das Überraschungsmoment war auf ihrer Seite, ihm fiel partout keine Ausrede ein. Also biss er in den sauren Apfel und legte seinen Arm um sie. Er versuchte, die walzertypische Distanz einzunehmen – körpernah, aber nicht aufdringlich. Madison scherte das wenig. Sie lachte zu laut, rieb ihr Bein an seinem, hielt seine Hüfte, als wollte sie sie nie mehr loslassen. Daniele versteifte sich. Ihren klimpernden Augenaufschlag mochte er ebenso wenig wie ihr schweres Parfüm. Außerdem wusste er genau, dass das Gebalze nicht ihm galt. Madison zog eine Show ab, um Paolo eifersüchtig zu machen. Leider hatte sie dabei nicht bedacht, dass Paolo nur Augen für Clara hatte und das Madison-Geturtel nicht einmal mitbekam. Daniele musste sich ein Lachen verbeißen, als er ihren Zorn bemerkte. Doch so schnell gab sich die Amerikanerin nicht geschlagen. Als der Walzer zu Ende ging, ergriff sie die Initiative und klatschte Paolo einfach ab.
»Partnerwechsel!«, rief sie fröhlich und schmiss sich in seine Arme. Daniele blieb nichts übrig, als mit Clara weiterzutanzen.
Der Tausch war äußerst angenehm. Die Pianistin schmiegte sich wie eine erschrockene Puppe in seine Arme, nicht wie eine fleischfressende Pflanze. Sie folgte jeder seiner Bewegungen und schien schwerelos zu sein. Und sie duftete nicht nach Chanel oder Dior, sondern nach Fichtenhonig. Ein Geruch, der ihn an seine Kindheit erinnerte, an die Sommerferien im Schwarzwald. Als er ihr zu ihrem Spiel gratulierte, errötete sie. Sie war also schüchtern. Und er hatte sie für arrogant gehalten! Ihre Augen schimmerten dunkelgrün wie das Wasser der Lagune bei Nacht.
Warum sie so
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