Entscheide dich, sagt die Liebe
letzten Treppenabsatz.
Als sie am Abend im Café vor dem Teatro La Fenice zusammensaßen und sich bei einem Bier von der Schlepperei erholten, hielt Daniele plötzlich inne. »Weißt du noch, was wir heute vor drei Monaten gemacht haben? Auf den Tag genau?«
»Wie könnte ich das vergessen, mein Freund?« Paolo stellte das Glas, das er eben zum Mund führen wollte, wieder ab. »Wir saßen sogar am selben Tisch.«
»Wie es ihr wohl geht?«, fragte Daniele. Seine dunklen Augen wirkten noch größer als sonst.
»Gut, glaube ich.« Paolo rieb über die imaginäre Narbe am Unterarm, die sich taub anfühlte. Ein unangenehmes Gefühl. »Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihr, aber Madison hat sich mit ihr angefreundet.«
»Wirklich?«
»Sie haben gemeinsam einen Verein gegründet, der Leute bei der Restituierung von Raubkunst unterstützt und ihnen die bürokratischen Formalitäten abnimmt. Madison ist sozial sehr engagiert, musst du wissen.«
»Und ich dachte, sie interessiert sich in erster Linie für Antiquitäten, Schmuck, Shopping und Feiern.«
»Ja, sie ist oberflächlich. Aber nicht nur. Für jede Jugendstillampe, die sie kauft, spendet sie den doppelten Betrag an Obdachlose, krebskranke Kinder oder die Dritte Welt. Und sie macht das nicht, um ihr Gewissen zu beruhigen, sondern aus Überzeugung.«
Daniele sagte nichts. Er nickte nur verträumt und hing wohl irgendwelchen Gedanken nach.
Noch einmal strich Paolo über seinen Arm. »Darf ich dir eine ganz persönliche Frage stellen?« Er zögerte. Dann atmete er tief durch. »Warst du eigentlich auch in Clara verliebt?«
Danieles Blick glitt an Paolo vorbei in die Ferne, als suchte er etwas. Eine Erinnerung vielleicht. Es musste eine schöne Erinnerung sein, denn er lächelte. Dann sah er Paolo an. »Ja.«
Paolo drückte auf seine unsichtbare Narbe, bis der Schmerz das taube Gefühl überlagerte. Er zog die Hand weg und starrte auf die weißen Abdrücke, die seine Fingerkuppen hinterlassen hatten. »Und habt ihr je … Ich meine …«
»Himmel, nein! Sie weiß nichts davon.« Daniele machte eine abrupte Abwehrbewegung. Dabei fegte er Paolos Bierglas vom Tisch.
Die Kellnerin kam angerauscht, fegte die Scherben weg und brachte ein neues Bier.
»Sie war dein Mädchen, Paolo. Niemals hätte ich das infrage gestellt.« Er fuhr sich durchs Haar. »Nur einmal, da …«
Paolo hob die Brauen. »Sprich weiter.«
»Als sie aus Kanada zurückkam und ich sie vom Flughafen abgeholt habe, da habe ich sie geküsst. Es ist einfach passiert, ich weiß selbst nicht, wieso. Ein Versehen und vollkommen harmlos, aber für mich ist die Welt eingestürzt.« Sein Adamsapfel rollte auf und nieder, es fiel ihm sichtlich schwer, darüber zu sprechen. »Damals ist mir erst klar geworden, wie schwer es mich erwischt hat.« Er lachte auf. »Blöde Sache, das mit dem Verlieben. Und oft so einseitig.« Er kniff die Lippen zusammen. »Ich hoffe jedenfalls, es geht ihr gut, und sie wird mit der Frau ihrer Träume glücklich.«
Paolo stürzte sein Bier hinunter. Sein Kehlkopf brannte. Jetzt! Jetzt hätte er das Missverständnis aufklären müssen. Er hätte sagen müssen, dass er aus einer dummen und kleinlichen Eifersucht heraus intrigiert hatte. »In Wahrheit hat sie mich verlassen, weil sie sich in dich verliebt hat«, hätte er sagen müssen. Er war es Daniele schuldig. Aber er konnte nicht.
Vielleicht wegen der eingebildeten Narbe, die kleine Schmerzwellen aussandte. Er rieb die Stelle am Unterarm, bis die Haut rot leuchtete. Dann holte er Luft, suchte die richtigen Worte. »Du wirst darüber hinwegkommen«, sagte er mit einer weit ausholenden Armbewegung, die das zweite Glas dieses Abends in den Abgrund riss.
Die Kellnerin verdrehte die Augen. Erklärte, er könne ihre Aufmerksamkeit auch einfacher erringen, ließ ihn in ihr Dekolleté gucken und verriet ihm, wann sie hier fertig war.
Er lächelte sie an, sie war wirklich sehr hübsch. Aber Casanova-Gene hin oder her, er stellte fest, dass er kein Interesse an einem One-Night-Stand hatte. Dabei würde Madison es ihm nicht verübeln, solange er sie nicht vernachlässigte, darüber hatten sie erst vor Kurzem gesprochen. Dennoch, es reizte ihn nicht. Er rieb ein letztes Mal über die Stelle am Unterarm und sah dabei verstohlen zu Daniele, der seinen Gedanken nachhing.
Die Wahrheit?
Nein, heute nicht.
Roma non fu fatta in un solo giorno.
Morgen war auch noch ein Tag.
A m Abend heulte die Sirene auf. Ein scharfer Ton, zu
Weitere Kostenlose Bücher