Entscheidung aus Liebe
ihren Augen nicht in jeder Hinsicht vollkommen war.
Er ließ es zu, dass die Musik Besitz von ihm ergriff und ihn auf ihren Schwingen davontrug. Sein Blick schweifte zum Fenster hinüber. Der samtschwarze Nachthimmel wurde von unzähligen Sternen erhellt, die wie kostbare Diamanten glitzerten. Die Sterne waren seit jeher seine Leidenschaft gewesen. Sie waren geheimnisvoll und wunderschön, dennoch waren sie vorhersehbar und stetig. Er wurde es niemals überdrüssig, sie zu betrachten. Jedes Mal entdeckte er neue Bilder und Formen in ihnen, die ihn zum Träumen brachten.
Es war seltsam, dass er sich gerade in diesem Moment so sentimental fühlte. Vielleicht lag es an Helenas leidenschaftlichem Lied, vielleicht aber auch nur an der Tatsache, dass er nach so langer Zeit wieder zu Hause war. Oder war es der Schmerz über den Verlust seines Bruders und seiner Schwägerin? Er wusste es nicht. Aber er konnte nicht verhindern, dass ihn eine plötzliche Traurigkeit überwältigte, die ihm die Tränen in die Augen trieb.
In diesem Augenblick sah er eine Bewegung unten im Garten. Ein dunkler Schatten tauchte zwischen den Buchsbäumen auf. Es war die unverkennbare Gestalt einer Frau.
Sie verließ den Schutz der Bäume und streckte die Arme in die Luft. Offenbar hatte sie die Musik gehört. Jareth erkannte sie sofort, denn er hatte in seinem ganzen Leben nur eine einzige Frau gesehen, die sich mit solch vollendeter Grazie bewegte. Miss Pesserat streckte sich, dann legte sie die Arme um sich selbst und drehte sich anmutig im Kreis. Hinter ihr erleuchtete der volle Mond den Himmel. Jareth konnte beinahe ihr leises, sinnliches Lachen hören, als sie den Kopf in den Nacken legte. Das Mondlicht fing sich in ihrem seidigen Haar, das lose über ihre Schultern fiel.
Der Schmerz, der ihn vor wenigen Momenten noch erfüllt hatte, verschwand.
Er gewann seine Selbstbeherrschung zurück und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Helena zu. Ihr liebreizendes Gesicht drückte die Leidenschaft ihres Liedes aus, und sie sang die italienischen Worte flüssig und mit perfektem Akzent. Hinter ihr strahlte Lady Rathford vor Stolz, während sie ihre Tochter begleitete. Neugierig warf Jareth auch Lord Rathford einen Blick zu. Er saß auf einem Chippendale-Stuhl am Kamin, sein Kopf ruhte auf seiner Brust. Helenas Vater schlief.
Jareth musste sich ein Lächeln verkneifen, als ihm der Gegensatz zwischen der Trägheit dieses Mannes und der Euphorie seiner Gattin auffiel. Schon während des Dinners hatte er die
vielen Unterschiede zwischen den beiden bemerkt. Wovon das Tischgespräch auch handelte, sie vertraten stets gegensätzliche Meinungen. Trotz allem hatten sie einer wunderschönen, begabten Tochter das Leben geschenkt.
Als sein Blick wieder zu Helena wanderte, stellte er sie sich in der Rolle vor, die ihr seine Mutter zugedacht hatte. Sie würde nicht nur eine ausgezeichnete Duchess abgeben, sondern auch eine akzeptable Ehefrau und Geliebte.
Warum eigentlich nicht, dachte Jareth. Er musste sich glücklich schätzen, eine Frau wie Helena Rathford gefunden zu haben.
Erschöpft legte sich Chloe in ihr Bett. Die Tasse Tee, die sie auf ihrem Nachttisch abgestellt hatte, war längst abgekühlt, aber es störte sie nicht besonders. Sie fand das Getränk trotzdem erfrischend. Sie liebte die Angewohnheit der Engländer, Tee zu trinken, ebenso wie ihre wunderschönen Gärten, die ihr jedoch manchmal zu streng erschienen. Alles war exakt angeordnet, und keiner Pflanze war es gestattet, allzu frei zu wachsen. Am liebsten hätte sie einige Büsche und Blumen kreuz und quer in den Garten gepflanzt, um das Auge von der unnatürlichen Symmetrie abzulenken. Dies war nicht ihr Heim, und sie besaß nicht das Recht, es nach ihrem Geschmack zu gestalten. Dennoch liebte sie den Garten, und sie ging dort nachts häufig spazieren, um von zu Hause zu träumen.
An diesem Abend hatte jedoch nicht die Vergangenheit, sondern ihre gegenwärtige Situation ihre Gedanken beschäftigt. Sie konnte nicht anders, als über den Duke nachzudenken. Trotz seiner tadellos geschnittenen Kleidung und seiner zurückhaltenden, beinahe gefühllosen Art hatte sie eine tiefe Traurigkeit in seinen dunklen Augen bemerkt. Diese Augen waren, obwohl sie einem Mann gehörten, beinahe schön zu nennen. Seine langen, dichten Wimpern hätten jede Debütantin vor Neid erblassen lassen. Nun, was machte es schon aus, dass er ein gut aussehender Mann war? Er hatte sie enttäuscht. Insgeheim hatte sie
Weitere Kostenlose Bücher