Entscheidung der Herzen (German Edition)
zusammen.
Auf Zehenspitzen schlich er an den zahlreichen Kammern vorbei, fand auf Anhieb die Treppe, die hinauf in die Küche führte und stieg mit schlafwandlerischer Sicherheit nach oben.
Das Herdfeuer in der Küche war offensichtlich noch nicht lange erloschen. Einige Kohlestücke glühten noch und hüllten den Raum in ein rotes Licht. Auch hier war noch alles so, wie Cassian es in Erinnerung hatte. Das Feuer, welches im Schloss gewütet hatte, hatte nur den vorderen, linken Flügel betroffen, in dem die Zimmer der Gäste lagen.
Cassian setzte sich auf einen Schemel und schaute sich um. Wo sollte er nach Jonathan suchen? Wo hatte Sir Baldwin ihn untergebracht? Als Stallbursche brauchte er ihn im Stall, so viel stand fest. Aber würde er den Sohn eines Lords auch im Stall nächtigen lassen?
Er würde William danach fragen. Cassian erhob sich und stieβ dabei einen Tonkrug vom Sims, der laut klirrend auf dem Boden zerschellte. Wie erstarrt stand er da und lauschte auf die Geräusche im Haus. Er hörte nichts und atmete auf. Mit der Stiefelspitze schob er die Scherben zusammen, damit sich die Mägde nicht daran verletzten. Doch plötzlich öffnete sich hinter ihm eine Tür und eine Stimme schrie laut auf.
»Pscht, Anne, um Gottes Willen sei leise!«, zischte Cassian, der die Frau im Nachthemd, die eine Kerze in der Hand trug, auf Anhieb erkannte.
»Was ist denn dort unten los ? Ruhe, verdammt noch mal ! Arbeitet ihr am Tag zu wenig, dass ihr nachts solch einen Lärm veranstalten könnt? Na, wartet, euch werde ich morgen Beine machen!«
»Es ist nichts, Sir Baldwin«, rief Anna in Richtung Treppe. »Die Katze hat diesen Radau veranstaltet.«
»Hmm ! Dann geh jetzt auch ins Bett und weck nicht noch das ganze Haus auf«, brummte Baldwin und warf die Tür seines Zimmers zu.
Im selben Moment stieβ Anna Cassian schon zurück in die Küche und schloss schnell die Tür.
Dann konnte sie nicht an sich halten und umarmte ihn kurz. »Ach, Herr, wie geht es Euch? So lange habe ich Euch nicht gesehen.«
»Es geht, Anna.«
»Was tut Ihr hier?«
Cassian lachte leise. »Es ist mein Zuhause, Anne, hast du das vergessen?«
»Wie könnte ich, Mylord! Und Gott weiβ, dass ich jeden Abend für Eure Rückkehr gebetet habe.«
Cassian strich der mageren Frau über den knochigen Arm.
»Wo ist Jonathan?«, fragte Cassian.
Anne senkte den Kopf.
»Sag, Wo ist er?«
»Seid Ihr gekommen, um ihn zu holen?«
»Ja, das bin ich.«
Anne nickte. »Das ist gut so. Er schläft mit seiner Mutter in einer der ausgebrannten Kammern. Sir Baldwin hat sie dort eingeschlossen.«
»Lady Elizabeth ist auch hier?«
»Ja, Mylord. Vorgestern brachte Sir Baldwin sie mit. Sie konnte ihren kleinen Jungen nicht länger allein lassen. Das Herz wäre ihr gebrochen, hätte sie ihn noch länger im Verlies allein gewusst. Das hat sie mir schnell zugeflüstert, als ich ihnen Essen brachte.«
»Sir Baldwin hat Jonathan ins Verlies gesperrt?«
Annes Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. »Ja, das hat er. Aber Jonathan ging es gut. Wir haben dafür gesorgt, dass immer einer von uns unten bei ihm war, damiter sich nicht fürchtet. Sir Baldwin hat nichts davon gemerkt.«
Anne sah hoch. »Wenn Ihr auch nicht mehr unsere Herrschaft seid, Mylord, so wissen wir doch, was wir Euch und Eurer Familie schuldig sind. Und die Jourdans sind ebenfalls gute Herrschaften. Und so, wie Ihr uns immer geholfen habt, so versuchen wir jetzt, Euch zu helfen.«
Cassian lächelte. »Danke, Anne.«
Er war gerührt und scheute sich nicht, der Magd, die er seit seiner Kindheit kannte, diese Rührung auch zu zeigen. »Wo sind die Schlüssel zu den Gästekammern?«, fragte er.
Anne seufzte. »Er trägt sie bei sich. Tag und Nacht. Selbst ins Bett nimmt er sie mit. Er traut keinem von uns. Und keiner von uns traut ihm.«
»Nun, so muss ich die Tür mit Gewalt aufbrechen.«
»Er wird es hören. Sein Schlaf ist leicht. Jedes noch so weit entfernte Husten weckt ihn.«
»Ich muss es trotzdem versuchen.«
Anne sah zu ihrem ehemaligen Herrn auf. »Ich werde hier in der Küche bleiben«, sagte sie. »Und wenn der Lärm, den Ihr veranstaltet, zu groβ ist, so werde ich dafür sorgen, dass die Hunde zu heulen beginnen. Vielleicht überdeckt der eine Lärm den anderen.«
»Danke, Anne«, sagte Cassian nun schon zum dritten Mal. »Sobald ich kann, werde ich dir deine Hilfe vergüten.«
Anne schüttelte den Kopf. »Das müsst Ihr nicht, Herr. Kommt zu uns zurück, das ist
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