Entscheidung des Schicksals
hatten.
Helene Dewhurst hob den Kopf. Auf ihrem perfekt geschminkten Gesicht lag ein nachsichtiges Lächeln, das jedoch schlagartig verblasste, als sie Gabes Mutter bemerkte.
Sie stand auf und kam ihnen entgegen, während Mrs. Kendrick sich auf einen Stuhl in der dritten Reihe setzte, den eine jüngere Frau für sie freigemacht hatte.
Helene streckte die Hand aus und ignorierte Addie vollkommen. „Mrs. Kendrick“, säuselte sie. „Was für ein unerwartetes Vergnügen. Wir haben uns seit dem letzten Empfang des Senators nicht gesehen. Ich wusste ja nicht einmal, dass Sie uns heute die Ehre geben wollten.“
„Ich sollte wirklich häufiger zu den Versammlungen der Historischen Gesellschaft kommen“, erwiderte Katherine und gab ihr nicht die ganze Hand, sondern nur drei Finger. „Schließlich bin ich Mitglied. Außerdem bin ich hier, um Gabe zu vertreten. Dieses Projekt bedeutet ihm sehr viel, wissen Sie. Das frühe siebzehnte Jahrhundert ist seine Lieblingsepoche. Und ich persönlich bin an der Restaurierung des alten Gartens auch deshalb so interessiert, weil dort viele der Pflanzen wuchsen, mir denen unser Anwesen gestaltet wurde.“ Sie lächelte einer Reporterin zu, die mit gezücktem Notizblock in Addies Nähe an der Wand stand.
„Ich liebe Gärten.“
Katherine zog die Finger aus Helenes Hand und kehrte ihr den Rücken zu, um zwei Frauen zu begrüßen, die sie näher zu kennen schien.
Helene zögerte einen Augenblick. Dann ging sie wortlos an Addie vorbei zum Rednerpult. Trotz der Anwesenheit von Mrs. Kendrick schien sie sich noch immer siegessicher genug zu fühlen, um so zu tun, als wäre Addie gar nicht da. Welchen Trumpf hatte sie noch im Ärmel?
Addie wünschte, es wäre so. Sie verschränkte die Arme vor dem Hefter, der ihren Bericht enthielt. Sie hatte versucht, ihn so locker in den Händen zu halten, wie Gabes Mutter es ihr vorgemacht hatte, aber ihre Hände zitterten einfach zu sehr.
Die Präsidentin schlug mit dem Hammer auf den Holzblock, und das Gemurmel im Raum erstarb. Sie lächelte in die laufenden Fernsehkameras, ließ sich durch die Blitzlichter der Fotografen nicht irritieren und sprach mit selbstsicherer Stimme in die zahlreichen Mikrofone, die die Tontechniker am Podium befestigt hatten.
„Ich begrüße Sie alle herzlich. Es ist schön zu wissen, dass so vielen von uns die Bewahrung der Geschichte Virginias am Herzen liegt. Ich freue mich besonders, Ihnen unseren heutigen Gastredner vorzustellen. Es ist Dr. Richard Albright vom National Arboretum in Washington, D.C.“
Leiser Applaus ertönte, als sich in der ersten Reihe ein Mann mittleren Alters erhob und eine Verbeugung andeutete.
„Aber bevor ich ihm das Wort für seinen sicherlich sehr interessanten Vortrag erteile, treten wir in unsere Tagesordnung ein. Wir beginnen mit der Verlesung und Genehmigung des Protokolls der letzten Sitzung.“
Es folgten die Berichte der Vorstandsmitglieder und der Sprecher diverser Komitees – nur Addies nicht. Denn anstatt sie aufzurufen, trat Helene wieder ans Rednerpult.
„Wie viele von Ihnen wissen, haben wir uns sehr darauf gefreut, einen der ältesten öffentlichen Gärten Neuenglands zu restaurieren“, begann sie. „Die Vorsitzende des damit betrauten Komitees sollte Miss Addie Löwe werden.“ Sie nickte dorthin, wo Addie mit ihrem an die Brust gepressten Bericht stand. „Miss Löwe hat die Nachforschungen angestellt, die unserem Antrag zu Grunde liegen“, sagte sie und nahm Addie damit ihr schlagkräftigstes Argument.
„Bedauerlicherweise hat uns das Amt für Denkmalpflege nun mitgeteilt, dass es unser Projekt nur teilweise finanzieren kann.“ Sie zog eine Augenbraue hoch.
„Sie haben eine Kopie des Schreibens bekommen, nicht wahr, Miss Löwe?“
Eigentlich hatte Addie den Mitgliedern davon erzählen wollen. Sie räusperte sich.
Die Frau, die neben ihr an der Wand stand, musste in Parfüm gebadet haben.
„Ich habe es bei mir“, erwiderte sie mit einer Stimme, die nur leicht zitterte, und suchte verzweifelt nach einem neuen Argument, mit dem sie für ihr Projekt und das Andenken ihres Vaters kämpfen konnte.
„Dann wissen Sie auch, dass uns zum Erwerb der Gartenfläche mindestens fünfzigtausend Dollar fehlen. Unser kleiner Verein kann einen derartigen Betrag unmöglich aufbringen“, fuhr Helene mit genau der richtigen Mischung aus Enttäuschung und Autorität fort. „Da das Projekt also im Moment nicht zu realisieren ist, lösen wir das dafür zuständige
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