Entscheidung in Gretna Green
Kinderlosigkeit ihr den Ehemann entfremdete und ihre Ehe zur Hölle machte. Irgendwann konnte sie ihm nicht mehr ins Gesicht schauen, um nicht sehen zu müssen, was in ihm vorging. Er fragte sich, warum er die Tochter eines reichen bürgerlichen Geschäftsmannes geheiratet hatte, wenn sie unfähig war, ihm Kinder zu gebären. Zwar hatte sie die leeren Kassen seiner vornehmen Familie gefüllt, aber damit er endlich an ihren restlichen Besitz gelangen konnte, musste sie einen Stammhalter zur Welt bringen.
Die Reisekutsche rollte durch die stille nächtliche Landschaft von Somerset und Felicity war zumute, als höre sie im Rattern der Räder und den Hufschlägen der Pferde bitteres Hohngelächter.
Wer war letztlich einfältiger und gutgläubiger gewesen, fragte Felicity sich – sie oder Percy? Weder er noch sie hatten je Verdacht geschöpft, dass seine Mätressen andere Liebhaber hatten, mit denen sie Kinder zeugten. Offenbar hatten ihm diese liederlichen Frauen ihren Nachwuchs untergeschoben, da er über die finanziellen Mittel verfügte, um für ihren Unterhalt aufzukommen. Im Übrigen war er geradezu mitleiderregend versessen darauf gewesen, seine Zeugungskraft zu beweisen und mit seinem Nachwuchs zu prahlen.
Und nun erwartete Lady Lyte endlich das ersehnte Kind. Von einem Mann, den sie nicht beabsichtigte zu heiraten.
Hätte Hawthorn zugestimmt, ihr Liebhaber zu werden, wenn er befürchtet hätte, es bestehe die Gefahr einer Schwangerschaft? Felicity kannte die Antwort, denn er hatte diesen Punkt selbst zur Sprache gebracht, als sie ihm ihren skandalösen Antrag machte.
Er hatte errötend und umständlich herumgestottert und einige Ansätze gemacht, bevor es ihm gelang, seine Frage so zu formulieren, dass sie begriff, was er meinte.
Sie war drauf und dran gewesen, ihr Angebot zurückzunehmen, um ihre schmachvolle Unfruchtbarkeit nicht ans Licht bringen zu müssen. Doch dann hatte sie zu ihrer eige nen Verblüffung den Drang verspürt, einen Drang, der tiefer ging als ihre Verlegenheit und ihr Selbstmitleid, Hawthorn die Wahrheit zu gestehen.
„Seien Sie unbesorgt, Mr. Greenwood. Mein Mann hat in unserer Ehe mehrere Kinder gezeugt – allerdings nicht mit mir.“
Um jedes Wort oder auch nur einen Blick des Mitleids von ihm zu verhindern, hatte sie aufgelacht. „Wie Sie sehen, bin ich ebenso frei wie jeder Mann, um meinem Vergnügen nachzugehen.“
Vielleicht hatte sie mit diesen frivolen Worten das Schicksal herausgefordert, ihr einen bösen Streich zu spielen. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten, das hielt sie sich ständig vor Augen. Ihr Vermögen und ihre Witwenschaft verschafften ihr die Freiheit, die Freuden der Mutterschaft zu genießen, ohne lästige Einmischungen eines Ehemanns ertragen zu müssen.
Zwar regte sich ihr Gewissen, es sei ungerechtfertigt, den herzensguten Hawthorn um seinen Nachwuchs zu bringen, doch Felicity stellte sich taub. Selbst wenn sie bereit wäre, aus Gründen der Moral eine zweite Ehe einzugehen, würde sie bei der Wahl eines Gatten andere Maßstäbe anlegen als bei der Wahl eines Liebhabers. Hawthorn würde auf ihrer Liste geeigneter Heiratskandidaten einen der letzten Plätze einnehmen.
„Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Hetty mitzunehmen“, seufzte Felicity halblaut. „Ihr dummes Geschwätz hätte mich wenigstens daran gehindert, ständig an diesen Mann zu denken.“
Noch einmal brauchte sie nun alle innere Entschlossenheit, mit der sie schon kurz zuvor die Schlafzimmertür vor Hawthorn verriegelt und ihn anschließend des Hauses verwiesen hatte. Nun würde sie ihn auch endgültig aus ihren Gedanken vertreiben. Sie konzentrierte sich darauf, Pläne für sich und ihr Kind zu machen. Die würde sie umsetzen können, sobald diese leidige Angelegenheit mit ihrem Neffen und Ivy Greenwood aus der Welt geschafft war.
Zunächst wollte sie sich während ihrer Schwangerschaft aufs Land zurückziehen. An einen stillen, abgelegenen Ort in einem milden Klima. Weit weg von Bath und ebenso weit entfernt vom Familiensitz der Lytes in Staffordshire. Kent wäre eine schöne Gegend. Aber …
Lag Hawthorns Familiensitz nicht in Kent? Felicity erforschte ihr Gedächtnis, konnte sich aber nicht entsinnen. Hatten sie je darüber gesprochen?
Nein. Eigentlich hatten sie sich nur über Alltägliches unterhalten, vermutlich in der Befürchtung, persönliche Gespräche könnten zu einer tieferen Beziehung führen.
„Du denkst schon wieder an ihn“, schalt sie sich.
Um
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