ganzen Leben hatte ich mich so geliebt gefühlt.
EPILOG
"C aleb, wenn du dich nicht beeilst, gibt’s für dich keinen Truthahn mehr!" Die Stimme meiner Mutter hallte durch das festlich geschmückte Haus. Jerry sprang bellend zwischen unzähligen Paaren Beinen umher, und ich beobachtete Vanessa grinsend dabei, wie sie Mike erklärte, dass Sam und Xander unglücklicherweise an einer wirklich ausgeprägten Lebensmittelallerge litten. Ein Familiending. Erblich bedingt. Vielleicht würden wir ihm irgendwann einmal die Wahrheit sagen. Doch nicht jetzt. Es war gut, dass er sich nicht mehr an das erinnerte, was in dem Tunnel unter der Fabrik tatsächlich passiert war.
Es war herrlich wieder Zuhause zu sein.
Meine Mutter hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Kürbisse, Maiskolben und Spätblüher tauchten jeden Raum in eine heimelige Atmosphäre. Überall hingen kleine Lichter herum und die Luft schmeckte bereits nach dem ersten Schnee.
Xanders Mom stand neben dem Herd und betrachtete fachmännisch den riesigen Truthahn, der dort bereits seit Stunden vor sich hin briet. Glücklicherweise hatte sie meiner Mutter diese Arbeit nur allzu gerne abgenommen.
Mein Dad saß an unserem riesigen Esstisch und betrachtete nachdenklich die Bilanzen seiner letzten Ernte. Seine Stirn lag in Falten, während Sam mit ihm nach und nach jede einzelne Spalte durchging. Er hob den Kopf und sah mich an, so als hätte er gemerkt, dass ich ihn beobachtet hatte. Wahrscheinlich hatte er das sogar.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als sich unsere Blicke trafen. Er sagte kurz etwas zu meinem Vater, dann stand er auf und kam auf mich zu.
"Du siehst schön aus."
Ich hatte mir wirklich Mühe gegeben. Vanessa hatte meine dicken Locken gebändigt und am Hinterkopf zusammen gesteckt. Vor unserer Abreise nach Parkerville waren wir noch einmal durch die ganze Stadt gefahren, nur um ein Kleid für diesen Abend zu finden. Und das trug ich nun. Es war grün und es passte so gut, dass ich es am liebsten gar nicht mehr ausziehen wollte.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Dabei fing ich den Blick von Nelly auf, die ebenfalls in unserer offenen Küche stand und gerade dabei war, die Kartoffeln zu stampfen.
Liebevoll sah sie uns an. Liebevoll und traurig zugleich.
Ich hob die Hand und winkte ihr zu.
Sie lächelte.
So viele würden bei diesem Thanksgiving-Essen fehlen, doch so viele waren auch endlich wieder vereint. Nie zuvor hätte ich mir träumen lassen, sie alle hier zusammen zu sehen.
Würde es von nun an immer so sein?
Doch wer wusste schon, was die Zukunft brachte?
Ich betrachtete versonnen die kleine fleischfarbene Narbe auf meiner Hand.
Wer wusste schon, wie viel Zeit wir noch hatten?
THE END
Impressum
Auflage 1, Dezember 2012
Copyright © 2012
Marie Hoehne
www.marie-hoehne.de
Kontakt:
[email protected] Herausgegeben von:
K. Müller, Danziger Strasse 166, 10407 Berlin
Coverbild: K. Müller
All rights reserved.