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Entscheidungen

Entscheidungen

Titel: Entscheidungen
Autoren: Marie Hoehne
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rot. Vom Weinen? Hatte Mrs. Carter tatsächlich geweint?
    Ich schluckte schwer.
    "Du bist Lily, oder?" Ihre Stimme klang rau, fast ein wenig angestrengt.
    Ich nickte stumm und machte unschlüssig ein paar Schritte auf sie zu.
    "Es ist mehr als zwei Jahre her. Bald sind es drei." Sie senkte den Blick.
    Drei Jahre, seit sie ihren Sohn begraben hatte, in der Annahme, er wäre in Seattle bei einem Überfall ums Leben gekommen. Wie viel hatte Mrs. Carter vom Fluch der Familie gewusst, als sie Paul Carter geheiratet hatte?
    Nichts, dessen war ich mir sicher, als ich in ihr tieftrauriges Gesicht sah.
    Ich räusperte mich. "Es geht ihm gut."
    Es war eine Lüge, doch sie schien mir angebracht. Ich hatte doch keine Ahnung, wie es Xander ging. Sam hatte ihn noch immer nicht gefunden. Wollte er ihn überhaupt finden? Entschieden schob ich auch diesen Gedanken zur Seite.
    "Hast du ihn gesehen?" Ihre Augen waren eigenartig groß geworden und sofort traf mich das schlechte Gewissen.
    "Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, arbeitete er in einem Krankenhaus." Das war keine Lüge. Es war nur sehr lange her.
    "Wo?"
    "In New York."
    Sie seufzte. "So weit weg." Dann schnellte ihr Blick nach oben. "Aber er ist gefährlich… oder?"
    Ich schüttelte langsam den Kopf. Nicht der Xander, den ich gekannt hatte. Er war einer der liebenswürdigsten Men… Geschöpfe der Welt gewesen. Und nun? Was war jetzt?
    Ich spürte, wie mein Herz zu schmerzen begann. Er fehlte mir, so sehr, dass ich manchmal fast ein schlechtes Gewissen bekam, wenn ich Sam ansah. Der Blick, den er ihm und mir bei seinem Abschied zugeworfen hatte, hatte sich tief in meinen Kopf gegraben. So viel Hass, und das alles nur wegen Ashley.
    "Ashley", setzte sie an, und ich schloss unvermittelt die Augen. Ihr grinsendes Gesicht tauchte vor mir auf, sie hatte Philipp getötet und Matt und so viele andere. Und sie wollte mich umbringen. Ohne den Hunter hätte sie das auch geschafft.
    Ich schüttelte langsam den Kopf. "Sie ist… fort."
    Mrs. Carter nickte zögernd. "Für immer?"
    "Ja."
    "Das habe ich mir gedacht. Sie hat sich… nie gemeldet."
    "Aber Xander hat sich gemeldet." Ich erinnerte mich an seinen deprimierten Gesichtsausdruck, nachdem er mir erzählt hatte, dass seine Eltern sich weigerten, mit ihm zu reden.
    "Mein Mann möchte das nicht. Für ihn… ist Xander…" Sie wandte sich um und starrte auf das Grab. Es war leer, das wussten wir beide.
    "Hat er sich in letzter Zeit vielleicht… gemeldet?" Ich schluckte schwer.
    "Manchmal, da denke ich es. Aber er sagt nichts. Ich höre ihn nur atmen."
    Er lebte!
    "Und dann?"
    "Dann schweigen wir beide am Telefon. Ich kann nicht mit ihm reden. Wenn Paul das mitbekommt…" Sie brach ab. "Siehst du ihn manchmal?"
    "Zurzeit nicht." Ich wurde rot.
    "Wenn du ihn siehst, sag ihm bitte, dass er zu mir kommen soll. Würdest du das tun?"
    Ich nickte. Ein dicker Kloß steckte in meinem Hals. Wie sehr musste diese Frau gelitten haben, und ich hatte über sie geschimpft. Für herzlos hatte ich sie gehalten, dabei hatte sie ihren Sohn nie vergessen. Natürlich, wie hätte sie das auch tun sollen? Sie war doch seine Mutter!
    "Ich muss leider weiter", sagte ich mit leiser Stimme.
    "Pass auf dich auf, Lily. Versprichst du mir das?"
    "Das werde ich." Mit diesen Worten wandte ich mich um und lief so schnell mich meine Füße trugen an der niedrigen Friedhofsmauer vorbei auf die Felder zu.
    Fürs Abendessen war es längst zu spät, doch ich hatte auch keinen Hunger mehr.

    "Lily, Schatz, lass uns doch noch ein wenig zusammensitzen. Ich finde es ganz schrecklich, dass du morgen schon wieder zurückfliegen musst. Kannst du nicht noch etwas bleiben?" Meine Mutter sah mich mit ihren großen, kindlichen Augen bittend an.
    Ich war gerade im Begriff die Treppe zu meinem Zimmer hinaufzusteigen. Ich wusste, dass Sam wartete. Die Sonne war längst untergegangen. Nach dem Joggen war ich erst einmal eine halbe Ewigkeit im Bad verschwunden. Ich musste nachdenken. Über Mrs. Carter, Xander, Sam. Ich hatte Xanders Mutter immer für eine herzlose Frau gehalten, doch nun, wo ich wusste, wie sehr sie litt, tat sie mir mit einem Mal schrecklich leid. Ich hatte sie nicht einmal richtig trösten können. Schließlich hatte ich selber keine Ahnung, wo ihr Sohn steckte. Wo war Xander?
    Es fiel mir schwer, zu akzeptieren, dass er uns nicht mehr sehen wollte. Ich hatte Angst um ihn. Seit ich wusste, dass es sie gab, die Vampire, fühlte ich beim Einsetzen der Dunkelheit
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