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Entsetzliches Gleichmaß

Entsetzliches Gleichmaß

Titel: Entsetzliches Gleichmaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivia Woods
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weder zu den Kindern noch zu ihr. Er rutschte unruhig hin und her und ließ sich schnell ablenken, mal von einer kleinen Echse zwischen den Blumenbeeten, mal von den im sanften Wind raschelnden Blättern. Er spielte den Harmlosen so überzeugend, dass Iliana beinah Zweifel kamen. Doch es konnte nicht anders sein: So wie sie ihn vorsichtig beäugte, behielt er auch sie stets im Auge.
    Vier unbefriedigende Skizzen später hatte sie genug. Sie klemmte sich das Zeichenpadd unter den Arm und ging betont langsam zu der Bank. Sie setzte sich auf die freie Stelle, wo die Bank eine Biegung machte, und zeichnete einfach weiter. Sie und der Mann wechselten dabei keinen Blick.
    »Gibt es etwas, das Sie von mir wollen, Mister Entek?«, fragte Iliana, während ihre Finger den fernen Waldrand skizzierten.
    »Ehrlich gesagt, ja«, antwortete Entek ohne Zögern. »Aber gestatten Sie mir, zunächst zu betonen, wie sehr es mir schmeichelt, dass Sie sich an mich erinnern.«
    »Dazu besteht kein Grund«, erwiderte sie. »Ich habe einfach ein gutes Gedächtnis. Wenn Sie jemanden ausspionieren wollen, sollten Sie sich aber bemühen, dabei nicht gesehen zu werden.«
    Entek lächelte. »Danke für den Hinweis. Ich sollte allerdings eines gestehen: Sie waren nicht nur heute in diesen Gärten und an jenem Abend im Museum unter Beobachtung. Man könnte sagen, dass ich Sie seit dem Empfang ohne Unterlass im Auge behielt.«
    Iliana erstarrte für eine Sekunde. Sollte sie das tatsächlich glauben? »Warum?«
    »Aus zahlreichen Gründen. Hauptsächlich, weil mich Ihre außergewöhnliche Beobachtungsgabe fasziniert.«
    Iliana zuckte mit den Achseln. »Mir fallen Dinge auf. Na und? Eine nützliche Fähigkeit für eine Künstlerin.«
    »Und eine Agentin«, ergänzte Entek.
    »Geht es hier etwa darum? Rekrutieren Sie mich für den Obsidianischen Orden?«
    »War Ihnen das nicht schon klar?«
    Das war es tatsächlich. Als ihr Vater bei dem Empfang Enabran Tain erwähnte, den Leiter des Ordens, hatte er betont, dass auch Entek für den Geheimdienst der Union arbeitete. »Ich bin nur enttäuscht, dass es so offensichtlich ist«, sagte sie nun.
    »Ah.« Entek schmunzelte. »Sie erwarten von mir, in Rätseln zu sprechen, eine Aura des Mysteriösen zu verströmen und mehrdeutige Dinge zu äußern, damit sich etwaige Lauscher die Hirnwindungen verknoten, um die Wahrheit von den Lügen zu trennen. Zugegeben: Wir verfügen über solche Agenten. Sie sind recht … anstrengend.«
    »Genau wie Sie, Mister Entek«, entgegnete Iliana. Das Gespräch ging ihr schon jetzt auf die Nerven. »Und zu Ihrem Pech haben Sie sich umsonst herbemüht. Gestatten Sie mir, Ihnen weitere Anstrengungen zu ersparen: Meine Antwort lautet Nein. Guten Tag.« Sie nahm ihr Zeichenpadd und brach wieder auf.
    »Das sollten Sie noch einmal überdenken«, rief Entek ihr nach. Wider besseres Wissen blieb Iliana stehen und wandte sich um. Zum ersten Mal an diesem Tag sahen sie einander direkt ins Gesicht. »Ich habe Sie im Verlauf des vergangenen Monats sehr genau kennengelernt«, behauptete er, »und ich hege keinen Zweifel daran, dass Sie eine hervorragende Agentin wären.«
    »Sie kennen mich nicht im Geringsten«, erklärte Iliana.
    Entek erwiderte ihren Blick. »Iliana Ghemor. Einziges Kind von Legat Tekeny Ghemor aus dem Zentralkommando und der Inquisitorin Ersten Grades Kaleen Ghemor, geborene Dakal, von der Zentraluniversität. Ein privilegiertes Kind, überaus verwöhnt, und aufgewachsen in der Bequemlichkeit und Sicherheit, die das Leben als Tochter aus der Herrscherklasse nun einmal mit sich bringen. Obwohl Sie Ihren Vater lieben und respektieren – ganz zu schweigen von dem Mann, mit dem Sie kürzlich eine voreheliche Beziehung begonnen haben – hegen Sie eine Abneigung für das Militär, obwohl Ihnen das Verständnis dafür fehlt, wie es inner- wie außerweltlich arbeitet und funktioniert. Ähnliches gilt für Ihre Ansichten zu Cardassias Außenpolitik. Sie betrachten sich als Idealistin, befassen sich hauptsächlich mit bildender Kunst, Musik und abstraktem Lernen, aber all dies eigentlich nur, um sich davon abzulenken, dass Ihr Leben keinen eigentlichen Sinn hat. Ihr jugendliches Rebellentum hat man Ihnen nachgesehen, Forderungen nach sozialem Wandel sind tolerierbar, wenn Sie nur am Esstisch und im Schlafzimmer geäußert werden. Außerhalb dieser Bereiche heben Sie nur selten Ihre Stimme, denn dort käme erschreckend leicht zum Vorschein, auf wie viel Ignoranz Ihre Ansichten

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