Entsetzliches Gleichmaß
wiedererkannte.
Es klingelte an der Tür. Iliana runzelte die Stirn, legte eine Plastikplane über den Ton, damit er nicht aushärtete, und stand vom Boden auf, auf dem sie gehockt hatte.
Ich hab Nemra doch gesagt, ich will heute allein sein
. Ihre Klassenkameradin und Nachbarin war lieb, klammerte aber auf höchst anstrengende Weise. Iliana fiel es immer schwerer, Zeit für sich selbst zu finden.
»Ja?«, rief Iliana, als sie sich der Tür näherte und vorsichtig all den Krempel umrundete, der sich in den gut zwei Jahren, die sie nun in Pra Menkar lebte, angesammelt hatte. Dann berührte sie das Touchpad neben der Tür. »Was ist denn schon wieder, Nem…?«
Sie erstarrte, als die Tür in der Wand verschwand. Denn im Korridor stand ihr Vater.
»Hallo, Iliana«, grüßte Tekeny sie herzlich. »Darf ich eintreten?«
»Vater! Natürlich. Es ist schön, dich zu sehen!« Überrumpelt von seinem Besuch, schlang sie die Arme um ihn und entsann sich erst dann der Tonschürze, die sie trug. Schwarze Flecken prangten auf Tekenys Uniform. »Oh, tut mir leid! Warte, ich kümmere mich drum.« Iliana zog die Schürze aus, rannte zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen, und nahm einen Lappen vom Wäschestapel auf ihrem Bett. Sie machte ihn nass und kehrte zu ihrem Vater zurück. »Das geht sofort wieder raus, versprochen.«
»Schon in Ordnung, Iliana«, entgegnete Tekeny. »Wirklich …«
»Bitte setz dich«, sagte Iliana. Ohne von seiner Kleidung abzulassen, geleitete sie ihn zu dem einzigen Stuhl in ihrem Zimmer. »Entschuldige das Chaos, aber ich hatte nicht mit Besuch gerechnet. Warum hast du nicht gesagt, dass du kommst?«
»Iliana …«
»Ist Mutter bei dir?«
»Sie ist daheim. Ich bin allein hier, weil ich mit dir sprechen muss.«
Und auf einmal wusste sie es. Ihre Hände erstarrten an seiner Brust. Iliana sah die Trauer in den Augen ihres Vaters und verstand plötzlich, warum er sie besuchte.
»Ataan ist tot«, flüsterte sie – es war eine Feststellung, keine Frage.
Tekeny fasste sie an den Schultern. »Die Nachricht kam heute Morgen von Bajor«, sagte er sanft.
Iliana starrte ins Leere. Plötzlich fühlte sie sich ganz weit weg, als betrachte sie sich selbst von außen.
Schock
, begriff sie.
»Iliana?« Ihr Vater versuchte, zu ihr durchzudringen.
Doch sie wandte sich ab. Sechs Tage waren seit Ataans letztem Brief vergangen. Hätte ihr das nicht schon sagen müssen, dass etwas nicht stimmte? »Wie ist es passiert?«, fragte sie.
»Durch eine Bombe«, antwortete Tekeny. »Laut ersten Erkenntnissen durchbrachen Terroristen irgendwie den Sicherheitsperimeter des Stützpunktes und platzierten einen Plasmasprengsatz vor dem Fenster des schlafenden Gul Pirak. Der gesamte Westflügel des Gebäudes wurde zerstört. Es gab viele Verletzte. Pirak und seine Familie kamen ums Leben, wie auch sieben Mitglieder seines Stabs. Ataan war einer von ihnen. Es tut mir so leid.«
Und so,
einfach
so, endete das Leben, wie sie es kannte.
Tekeny blieb den Großteil des Tages bei ihr und versuchte, sie zu trösten. Sie wusste seine Mühe zu schätzen, doch sie wollte und brauchte sein Mitleid nicht. Anfangs klammerte sie sich noch an seine Stärke, an die Stabilität, die seine Anwesenheit versprach … doch die niederschmetternde Trauer, auf die sie wartete, blieb aus. Iliana war überrascht.
Konnte
sie keinen Verlust empfinden? Erst mit der Zeit begriff sie, dass sie es sehr wohl tat – es fühlte sich nur ganz anders an als erwartet.
Irgendwann sagte sie ihrem Vater, sie wolle allein sein. Er zögerte, hatte er sie doch mit in die Hauptstadt nehmen wollen, damit sie im Kreise der Familie trauern konnte. Iliana dankte ihm dafür. Was sie aber wirklich brauche, erklärte sie, sei Zeit für sich, zum Nachdenken. Tekeny kam ihrem Wunsch nach, zwang ihr aber noch das Versprechen ab, binnen drei Tagen nach Hause zu kommen.
Schon als er aufbrach, wusste Iliana, dass sie dieses Versprechen gleichzeitig halten und brechen würde.
In der ersten Nacht saß sie einfach nur da, allein auf dem Boden ihres dunklen Zimmers, den Rücken ans Bett gelehnt, und starrte ins Nichts. Nem schaute mehrfach vorbei, doch Iliana ignorierte ihr Klingeln. Der Raum kam ihr plötzlich so klein vor. Dies war ein Kinderzimmer, oder etwa nicht? Voll mit Dingen aus dem Leben eines Kindes. Je weiter die Nacht voranschritt, desto mehr verachtete sie ihn und seinen Inhalt – und seine Bewohnerin. Überall standen ihre Gemälde und Skizzen herum, die
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