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Entsetzliches Gleichmaß

Entsetzliches Gleichmaß

Titel: Entsetzliches Gleichmaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivia Woods
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Schnitzereien und Skulpturen, und mit einem Mal kamen sie ihr entsetzlich sinnlos vor. Sie waren Zeugnisse eines übergroßen Egos, nichts weiter. Leerer Ausdruck eines leeren Geistes.
    Die Tonbüste war eine dunkle Silhouette neben ihr. Iliana streckte den Arm aus und zog die Plane fort. Ihre Fingerspitzen strichen über die Konturen, suchten nach etwas Vertrautem, doch alles war falsch. Nichts an der Büste war real, nichts wahrhaftig. Sie war bedeutungslos. Leblos.
    Iliana vergrub die Finger in dem Ton, riss ihn auseinander, ein Auge, eine Wange, den Wulst hinter dem Kiefer. Sie zerfetzte das Gesicht, bis es komplett verschwunden war.
    Ruhig und gefasst packte sie ihre Sachen. Sie entfernte alles, was nicht Universitätseigentum war, aus dem Raum: Kleidung, Bettwäsche, Datenstäbe, Malutensilien, Toilettenartikel, Ataans Geschenke und jede Skizze, jedes Kunstprojekt, das während ihrer zwei Jahre in Pra Menkar entstanden war. Iliana warf alles im Hof des Campus auf einen großen Haufen und steckte es – sehr zum Missfallen ihrer von den nächtlichen Geräuschen alarmierten Zuschauer – in Brand. Jede Erinnerung an ihr vergeudetes Leben ging in Rauch auf.
    Noch am selben Tag kehrte sie in die Hauptstadt zurück, aber nicht ins Haus ihrer Eltern. Sie fuhr in den Tarlak-Sektor, den administrativen Kern der Stadt. Hier waren die Hauptquartiere der Regierungsbehörden, hier saßen die militärische Exekutive und die Stärke der Union: der zivile Detapa-Rat, das Zentralkommando und der Obsidianische Orden.
    Als Iliana zielstrebig die Imperial Plaza überquerte, stand Corbin Entek in den Schatten und beobachtete sie. Er wirkte nicht überrascht über ihr Kommen.

Kapitel 4
2359–2361 Der Obsidianische Orden, Tag 8
    Iliana streifte unruhig durch ihr Quartier wie ein Raubtier durch seinen Käfig. Angesichts der Umstände fand sie diesen Vergleich sogar passend. Einen Tag nach ihrer Rückkehr in die Hauptstadt und dem Treffen mit Entek war sie nach Hause gegangen, hatte ihre Eltern über ihren Entschluss informiert, sich dem Obsidianischen Orden anzuschließen, und war erneut in den Tarlak-Sektor gegangen, wo Entek sie bereits erwartete. Er führte sie in das geheime Innere des Versammlungsgebäudes, wo der Orden seinen Sitz hatte, und brachte sie in einem Zimmer unter, das von außen verschlossen war. Acht Tage folgten, in denen sich ihre »Ausbildung« darauf beschränkte, harmlos scheinende Fragebögen auszufüllen und während zweier Sitzungen mit einem Psychologen über ihre Kindheit zu sprechen. Stumme Funktionäre brachten ihr Essen, verweigerten aber jeglichen Augenkontakt. Den Rest der Zeit verbrachte Iliana allein, eingepfercht in ein Zimmer, das kleiner und noch spärlicher möbliert war als das in Pra Menkar. Das Bad bestand aus einer winzigen Nische neben ihrem Bett in der Ecke gegenüber der Tür. Ein Stuhl und ein schmuckloser Tisch mit integriertem Lesemonitor standen daneben. Iliana vertiefte sich in die Bücher, die in die Datenbank geladen worden waren: historische Texte, die gesammelten Werke Tret Akleens und der unvermeidliche Klassiker
Das ewige Opfer
.
    Sie ahnte, dass sie Entek und seinen Herren verdeutlichen musste, wie ernst es ihr war. Wie aufrichtig sie sich ihrer Führung unterwerfen wollte, selbst wenn man sie dafür erst einmal nach Herzenslust schmoren ließ.
    Doch nach acht Tagen war ihre Geduld aufgebraucht. Rastlos ging Iliana auf und ab und kämpfte gegen den Impuls, irgendetwas kaputt zu schlagen, als Entek sie endlich besuchte. Er betrat den Raum, als wäre nichts gewesen, und deutete mit einem kleinen Gerät hinter sich, woraufhin sich die Tür wieder schloss.
    »Hallo Iliana«, begann er. »Wie fühlen Sie sich heute?«
    »Gelangweilt«, antwortete sie aufrichtig.
    Er lächelte. »Ja, das glaube ich gern. Die Sache verläuft anders, als wir alle sie uns vorgestellt haben, fürchte ich.«
    »Was heißt das denn jetzt?«
    »Es heißt, dass Sie vielleicht noch eine ganze Weile in diesem Zimmer verbringen«, sagte Entek. »Man ist sich uneins bezüglich Ihrer Eignung für den Orden. Eine Entscheidung sei erst nach einer weiteren Bedenkzeit möglich, sagt man. Ich werde natürlich mein Möglichstes versuchen, Ihnen eine breitere Auswahl an Lesestoff …«
    »Ich bin seit
acht Tagen
hier, Entek. Wie lang soll ich denn noch warten?«
    »Bis Sie gewillt sind, aufrichtig zu sein.«
    »Aufrichtig?«, wiederholte sie. »Inwiefern bin ich das nicht?«
    Entek seufzte, zog sich den Stuhl in die

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