Entsetzliches Gleichmaß
Geister«, sagte Iliana.
»Aber meine Liebe«, erwiderte er tadelnd. »Sie werden doch von einem definiert.«
Der Obsidianische Orden, Tag 69
»Ich verstehe ihren Entschluss nicht«
, hörte sie Kaleen sagen.
»Nein, das stimmt nicht. Ich verstehe ihn. Sie hat Ataans Tod nicht verarbeiten können und denkt, dies wäre eine positive Reaktion darauf. Aber es ist ungesund. Man trauert doch nicht, indem man sich selbst zerstört.«
»Na, komm, Kaleen.«
Tekeny klang erschöpft.
»Das tut sie doch gar nicht.«
»Ach nein? Unsere Tochter im Obsidianischen Orden? Wie kannst du da sitzen und behaupten, das bereite dir keine Sorgen?«
»Es ist untypisch für sie, ja. Aber es ist eine positive Entwicklung. Wir verzweifeln doch seit Jahren daran, wie wenig sie auf ihre Bürgerpflichten gibt. Der Tod einer geliebten Person verändert das Leben immer. Und so sehr ich auch wünschte, dieser Schmerz wäre ihr erspart geblieben, so sehr könnte er genau das sein, was sie braucht, um Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln.«
»Und warum ist sie nicht zu uns gekommen? Wir sind doch gut vernetzt in unseren Berufsfeldern. Warum der Obsidianische Orden? Warum keine andere Gruppierung?«
»Meine Kontakte im Orden sagen mir, sie gelte als vielversprechende Kandidatin und verfüge über Talente, die der Staatssicherheit nutzen. Vielleicht sollten wir froh sein. Als Informationsanalytikerin wird ihr kaum etwas zustoßen.«
»Dich stellen Enteks Aussagen vielleicht zufrieden«
, erwiderte Kaleen.
»Mich aber nicht. Ich traue ihm nicht. Ich traue keinem von ihnen.«
»Kaleen, bitte! Pass auf, was du sagst!«
»Auf gar keinen Fall! Verstehst du denn nicht, dass es mich zerreißt?«
Ihre Worte waren zu Schluchzern geworden.
»Ich bin wütend und besorgt und maßlos enttäuscht, und es frisst mich innerlich auf, Tekeny.«
Iliana zog sich den Chip aus dem Ohr und warf ihn auf die Tischplatte. Dann vergrub sie das Gesicht in den Händen. Der kalte graue Raum schien immer kleiner zu werden.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Entek von jenseits des Tisches.
Sie senkte die Hände und starrte ihn an. »Warum musste ich das mit anhören?«
Enteks Blick wich nicht von ihr. »Um etwas zu verstehen. Im Obsidianischen Orden ist kein Platz für Sentimentalitäten. Niemand ist über jeden Verdacht erhaben. Niemand entgeht unserem wachen Auge. Niemand ist für uns unerreichbar.«
Iliana sah weg. »Ich will das nicht machen.«
»Und genau deswegen werden Sie weitermachen«, sagte er. »Es genügt nicht, allzeit wach und bei Sinnen zu sein. Sie müssen Informationen auch frei von persönlichen Gefühlen verarbeiten können. Also – stecken Sie sich den Chip zurück ins Ohr.«
»Wer belauscht eigentlich
Ihre
Eltern, Corbin?«
Metallene Stuhlbeine kratzten über den Boden, als Entek abrupt aufstand. Dann trat er um den Tisch herum und schlug Iliana mit dem Handrücken so fest ins Gesicht, dass sie stürzte.
Als sie aufsah, ignorierte sie das Pochen in ihrer Wange.
Interessant
, dachte sie.
»Stehen Sie auf«, forderte Entek völlig nüchtern, »und stecken Sie sich den Chip wieder ins Ohr. Sofort.«
Der Obsidianische Orden, Tag 181
Gefangen in einer Welt ohne Licht wurden ihre Hände zu ihren Augen. Erinnerungen, die sich durch tagelange Wiederholung in ihre Fingerspitzen eingebrannt hatten, leiteten Ilianas Bewegungen, als sie sich durch die Unmenge an Objekten wühlte und nach den spezifischen Komponenten suchte, die sie benötigte.
Hauptplatine. Supraleitender Emitterkristall. Rodiniumschelle. Wellenverstärker …
Manche Objekte gehörten zu anderen Systemen, andere hatten die falsche Größe, wieder andere bestanden aus dem falschen Material. Manche rochen sogar verdächtig nach Kurzschluss. Iliana warf sie beiseite, sobald sie sie fand, und schränkte die Auswahl weiter ein.
Spiralwellen-Beschleuniger. Energieflussregler. Emissionseinheitsgehäuse. Kontrollinterface …
Hatte sie die nötigen Komponenten erst herausgefiltert, war der Zusammenbau ein Kinderspiel.
Zielsensor. Festspeicher. Isotolinium-Ampulle. Mikrokraftfeld-Induktoren. Energiezellengehäuse …
Die Tage vor diesen Übungen waren gefüllt gewesen mit dem Studium technischer Handbücher, mit Computermodellen und Leistungsanalysen. Entek hatte sie kein einziges Mal für das Tempo gelobt, in dem sie sich ihr Wissen aneignete und es verarbeitete. Aber sie wussten beide, dass sie die Erwartungen übertraf.
Kühlmodul. Sicherheitsschloss.
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