Entsorgt: Thriller (German Edition)
er seine eigenen Fantasien heraufbeschworen, tauchten über den Häusern einer der Nachbarstraßen zwei schwebende Silhouetten auf. »Sehen Sie die da? Das sind Kampfhubschrauber. Die können uns helfen. Die werden den Spieß umdrehen.«
Aggie kicherte in Anbetracht der Sprache ihres Vaters, war aber sofort wieder still, als sie merkte, dass dieser keineswegs scherzte. Etwas kroch über die Motorhaube, und sie und ihre Mutter kreischten auf. Mr. Smithfield legte den Rückwärtsgang ein und trat aufs Gaspedal. Ihnen allen wurde mit Wucht der Kopf auf die Brust gedrückt, als der Wagen nach hinten schoss. Der Gestank nach Verwesung und Exkrementen, der von Mr. Smithfields rechtem Schuh aufstieg, war unerträglich. Trotzdem taten sie den Teufel, ein Fenster runterzufahren, um frische Luft einzulassen. Das Ding auf der Motorhaube, ein schwarzer Schemen mit Augen aus Glühbirnen, wurde auf die Auffahrt geschleudert, wo es zerschmetterte. Mason hörte es schreien, aber niemand sonst schien das zu hören. Vielleicht konnte es ja auch sonst niemand hören. Vielleicht hatte er sich das Schreien bloß eingebildet.
»Hören Sie, Mr. Smithfield«, sagte er, als der Familienvorstand den Wagen schleudernd wendete und den Schaltknüppel in den Vorwärtsgang prügelte. »Genau diese Haltung sollten Sie tunlichst ablegen, wenn das hier irgendjemand von Ihnen überleben will.«
Mit quietschenden Reifen zahllose Hindernisse umkurvend, schoss der Wagen aus dem Bluebell Way heraus. Hinter ihnen ertönten das Knattern von Maschinengewehrfeuer und der dumpfe Knall eines explodierenden Gastanks. Als Mason sich über die Lehne seines Sitzes beugte, sah er einen von einer schwarzen Rauchwolke umhüllten Feuerball in den Himmel aufsteigen. Er schalt sich einen Idioten, hergekommen zu sein. Was versprach er sich davon, den Moment seiner Sühne auf derart überflüssige Weise zu vertändeln? Ausgerechnet für diese Leute, die keinen Deut anders tickten als der Rest des stupiden Mobs da draußen? Es gab keinen vernünftigen Grund dafür.
Mr. Smithfield hatte den Volvo auf die Hauptstraße von Shreve gelenkt, fuhr aber aus der Stadt hinaus. Mason starrte ihn an.
»Halten Sie sofort den Wagen an.«
»Was? Nein. Auf keinen Fall.«
»Halten Sie und lassen Sie mich aussteigen. Dann können Sie mit Ihrer Familie hinfahren, wohin immer Sie wollen.«
»Sie haben gesagt, Sie würden uns helfen. Sie werden nirgendwo hingehen, bevor wir nicht in Sicherheit sind.«
Mason atmete tief durch und kniff die Lippen zusammen, als treffe er eine Entscheidung.
»Woher wollen Sie wissen, dass Sie bei mir sicher sind?«
Er spürte, wie sich die Atmosphäre im Wagen veränderte, angespannter wurde.
»Woher wollen Sie wissen, dass Sie mir trauen können? Fragen Sie sich gar nicht, warum diese Monster da draußen mir nichts tun? Finden Sie das nicht seltsam?«
Mason sah in den Fond des Wagens, und für den Bruchteil einer Sekunde traf sein Blick den Aggies. Er wusste, dass sie nie geplant hatte, ihr Versprechen zu halten. Ihre Mutter musste den Blickwechsel bemerkt haben, so kurz er auch war, aber für den Augenblick schien sie ihn zu ignorieren. Vielleicht würde sie ihre Tochter später darauf ansprechen. Und herausfinden, dass dies keineswegs ihre erste Begegnung war.
Mr. Smithfield war inzwischen unter die Geschwindigkeitsbegrenzung zurückgefallen und starrte seinen unheimlichen, ausgemergelten Passagier an.
»Wovon reden Sie?«
»Ich glaube nicht, dass Sie mich wirklich hier bei sich im Auto haben wollen, Mr. Smithfield. Nicht gemeinsam mit Ihrer Familie.«
Ruckartig kam der Wagen zum Stehen.
»Das sollten Sie uns besser erklären.«
»Ich weiß, wo Ihr Sohn ist.«
Vom Rücksitz ertönte ein seltsames, unterdrücktes Winseln von Mrs. Smithfield. Ein Laut der Hoffnung und Hoffnungslosigkeit gleichermaßen, das hilflose Wimmern einer verzweifelten Mutter, die sich nichts sehnlicher wünscht, als ihr Kind in Sicherheit zu wissen.
»Donald … lebt?«
»Das ist sehr schwer zu sagen, Mrs. Smithfield.«
Mr. Smithfields Stimme war gepresst. Er konnte sich nur noch mit Mühe beherrschen.
»Entweder Sie finden auf der Stelle einen Weg, es dennoch zu tun, oder es wird bald sehr schwer zu sagen sein, ob Sie noch leben oder nicht.«
»Ich habe ihn nicht getötet, aber es ist, als hätte ich es getan«, sagte Mason mehr zu sich selbst als zur Familie des Jungen. »Ich bin dafür verantwortlich, dass er dort ist, wo er nun ist.«
Ihnen voraus schwärmten
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