Entsorgt: Thriller (German Edition)
durch ihre Wohnungstür zum Sofa. Dann kehrte sie in den Hausflur zurück, holte seine Tasche und trug sie in die Wohnung. Sie setzte sich neben ihn.
»Was ist passiert?«
»Ich bin … handgreiflich geworden. Ich wollte ihr wehtun. Ihr wirklich wehtun. Ich habe sie ins Schlafzimmer gezerrt. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Und dann, schlagartig, hat mich all diese Wut verlassen. Ich wusste, dass es Wahnsinn wäre, meinem Zorn nachzugeben. Ich dachte an die Zukunft. Ich dachte an dich. Ich wollte es nicht … wollte es nicht … aufs Spiel setzen. Also hörte ich auf. Und als sie das merkte, griff sie nach dem nächsten Gegenstand, den sie erwischen konnte – wie der Zufall es wollte, unser Hochzeitsfoto -, schlug damit wie wild um sich und traf mich mitten ins Gesicht.«
»Aber warum, Kev? Was hat sie getan, das dich so wütend gemacht hat?«
»Sie hatte eine Affäre.«
»Du auch.«
»Ich weiß. Aber …«
»Da ist nichts zu rechtfertigen. Du bist nicht weniger schuldig als sie.«
»Es war mehr als bloß das. Jahre ihrer … Verachtung. Und Gängelei. Es war so typisch für sie. Und der arme … ach, tut nichts zur Sache. Er war einfach nur ein leichtes Opfer. Sie ist böse. Sie steht drauf, Menschen ins Unglück zu stürzen.«
Er verstummte, und sie ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Sie hielt ihn nicht für einen gewalttätigen Mann. Trotz dessen, was sie ihm geantwortet hatte, wusste sie, dass sein Zorn begründet war: Wer wäre in solch einer Situation nicht wütend gewesen? Aber wenn er seinen Gefühlen nachgegeben hätte, wäre das unverzeihlich gewesen. Doch das hatte er nicht. Er hatte sich davon freigemacht. Ihr zuliebe.
Während sie kochendes Wasser in die beiden Tassen goss, spürte sie plötzlich, dass er hinter ihr stand.
»Was?«, fragte sie und schüttete die Milch ein.
»Darf ich hierbleiben?«
Ihm immer noch den Rücken zukehrend, löffelte sie den Zucker in ihre Tasse. Schließlich drehte sie sich zu ihm um und hielt ihm eine Tasse entgegen.
»Ich hatte gehofft, du würdest mich das fragen.«
Natürlich hätte Ray auch jemand anderes anrufen können, vielleicht die Polizei. Aber wer sonst würde ihm glauben? Und wem sonst war er dieses Wissen noch schuldig?
Ray wählte ihre Nummer. Das Telefon klingelte ein paar Mal, dann meldete sich der Anrufbeantworter. Er legte auf und wählte ein zweites Mal, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Das Gleiche wieder. Sein Herz schlug ihm immer noch bis zum Hals, und er war weit davon entfernt, wieder halbwegs bei Atem zu sein. Egal. Er hängte auf und wählte erneut.
Bitte …
Diesmal ging sie dran.
»Ray?«
Er wusste nicht, was er sagen sollte.
»Ja, ich bin’s.«
»Was ist los? Du klingst … ist alles in Ordnung?«
»Nein. Nicht wirklich.«
»Hör zu, Ray. Ich möchte nicht, dass du glaubst, du könntest mich jederzeit einfach so anrufen. Soweit es mich betrifft, sind wir beide fertig miteinander.«
»Das weiß ich doch. Darum … geht’s mir auch gar nicht. Es ist …«
Im Hintergrund hörte er die Stimme eines Mannes. Er nahm an, dass es derselbe war, den er im The Barge mit ihr gesehen hatte. Außer sie war jetzt völlig … er wollte nicht daran denken. Trotz des Grauens, das er immer noch empfand, trotz des anhaltenden Gefühls, dass ihm etwas den Boden unter den Füßen wegzog, spürte er, wie die Eifersucht sich ihren Weg bahnte. War das der eigentliche Grund, warum er sie anrief?
»Mach bitte schnell, Ray. Du hast dir nicht gerade den idealen Zeitpunkt ausgesucht.«
Er atmete tief durch. »Ich weiß nicht, wie ich es dir am besten sage, Jenny. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich meinen eigenen Augen trauen soll. Aber ich musste es dir sagen. Schon damit du eine Chance hast, dich in Sicherheit zu bringen.«
»In Sicherheit?«
»Dieses Ding, das wir gefunden haben. Am Straßenrand.«
Ihre Stimme verhärtete sich.
»Nein, Ray. Tu das nicht.«
»Jenny, bitte, hör zu. Ich habe mir seitdem jeden einzelnen Tag eingeredet, dass es nicht passiert wäre, dass ich mir das alles bloß eingebildet habe, dass du bloß einen Unfall hattest oder dich etwas gebissen hat oder so. So wie wir es den Leuten im Krankenhaus erzählt haben. Aber eigentlich habe ich nie daran geglaubt.«
»Ray, bitte …« »Du musst mir jetzt zuhören. Bloß noch einen kurzen Moment, und dann – das verspreche ich dir – rufe ich dich nie wieder an. Dieses Ding, es war lebendig. Ich habe mir das bis heute selbst nicht
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