ENTWEIHT
verblassenden Strahlen einer verschwundenen Sonne über die fernen Hügel. Dorthin blickte Malinari zuerst. Angezogen von der Bedrohung, die er wahrgenommen hatte, kniff er die Augen zusammen, um sich missmutig den letzten goldenen Streif am westlichen Horizont zu betrachten. Doch die Sonne war nun wirklich untergegangen und die Nacht brach rasch herein.
Die Nacht – seine, Malinaris Zeit, in der seine Kräfte die kühnsten Träume bloß menschlicher ESPer weit übertrafen. Und dort, im Westen … Spurenelemente im psychischen Äther, wie ein Makel in der beruhigenden Abenddämmerung. Er bleckte die Zähne zu einem lautlosen Knurren; seine Aufmerksamkeit war so angespannt, dass sich das Deckhaar auf seinen Schultern wie elektrisiert aufrichtete. Er konnte diverse »Fährten« ausmachen, die, zusammengenommen, die verräterische Signatur einer ganzen Gruppe von Leuten bildeten, die er als ...
… die er als das E-Dezernat kannte! Sie waren hier! Sie hatten ihn tatsächlich aufgespürt! Und Vavara natürlich ebenfalls! Man konnte auch Glück im Unglück haben. In diesem Fall verhielt es sich so, dass er wusste, womit er es zu tun hatte, sie hingegen nicht. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, dass sie sich hier befanden – und würde es auch nicht erfahren, nicht wenn es nach ihm, Malinari, ging.
Doch ließ sich nicht leugnen, was seine um ein Vielfaches verstärkten Vampirsinne ihm mitteilten: Jene im Äther treibenden, allmählich sich auflösenden, warnenden »Gerüche« durchdrangen regelrecht sein Gehirn:
Jenes Weibsstück, Liz (Ihre Kräfte entwickelten sich noch und eines Tages würden sie enorm sein. Eigentlich müsste sie tot sein, umgekommen in den Ruinen von Xanadu, und doch befand sie sich unerklärlicherweise hier). Und dieser verfluchte Lokalisierer, dessen Geist geradezu wie ein Magnet wirkte, wie ein Sternseiten-Wolf, der die Witterung seiner Beute aufnimmt; um ein Haar hätte dieser Kerl ihn, Malinari, das Leben gekostet!
Dies waren die hauptsächlichen Elemente, auf die seine Gedankensonden stießen, allerdings keineswegs die einzigen. Nein, denn die Gruppensignatur wurde von anderen verstärkt, deren Talente schwerer zu bestimmen beziehungsweise zu greifen waren.
Trask zum Beispiel. Die einzige »Spur«, die er hinterließ, bestand aus völliger Abscheu – vor Malinari! Und Malinari wusste, weshalb. Wegen Zek, der Telepathin, auf die er in Rumänien getroffen war, gleich als er diese Welt betrat, und die er getötet hatte. Zek hatte alle Geheimnisse dieser Leute, des E-Dezernats, gekannt; wäre er nur in der Lage gewesen, mehr über sie aus ihr herauszusaugen, ehe er sie umbrachte …
Doch das war Schnee von gestern. Ihr Blut war vergossen und jetzt war es zu spät, über den Tod einer Frau zu jammern, mochte sie noch so schön gewesen sein. Zek hatte Trask gehört, ja, und nun wollte Trask Rache – was nach Malinaris Auffassung nur vollkommen natürlich war. Aber was nun Trasks Talent anging (denn all diese Leute besaßen ihre Talente) – das blieb bislang ein Rätsel für ihn. In Zeks Gedanken hatte Malinari etwas darüber gelesen, während seine eiskalten Hände all ihr Wissen aus ihr saugten: Es hatte irgendetwas mit Wahrheit zu tun. Doch was konnte ein derartiges Talent angesichts der über Jahrhunderte verfeinerten Fähigkeiten eines Lords der Wamphyri schon nützen? Wenn jemand lediglich die Wahrheit zu sagen oder zu erkennen vermochte, wie sollte er damit gegen den Urvater allen Lugs und Trugs bestehen? Es gab keinen gemeinsamen Nenner, keine Überschneidungsfläche, auf der alles bloß die Unwahrheit war! Außerdem hatte es noch nie einen Großen Vampir gegeben, der nicht zugleich auch ein geborener beziehungsweise sonstwie geschaffener Lügner war.
Derart logische oder vielmehr un logische Gedankengänge waren ein Wortspiel, das Malinari mit sich selber spielte, vielleicht um sich Mut zu machen …
Und dann war da noch dieser große, schlaksige, spindeldürre Kerl, dessen Geist sonderbar unheimlich schien. Damals in Xanadu hatte Malinari ihn lediglich gestreift, eine kurze Berührung bloß, bestenfalls eine vorsichtige, flüchtige Gedankensonde. Tatsächlich hatte er seine Gedanken über die gesamte Gruppe schweifen lassen, doch da er zum damaligen Zeitpunkt nichts anderes im Sinn gehabt hatte, als zu entkommen, hatte er keine Gelegenheit gehabt, sie sich gründlicher zu betrachten. Was nun diesen großen Kerl betraf – den »Hellseher«, genau – sein Geist hatte wie ein
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