ENTWEIHT
Mechanismus im Innern wurde aktiviert.«
»Ja, ich stimme dir zu«, sagte Trask. Er klang ziemlich mitgenommen. »Aber du magst hier zwar der Hellseher sein, trotzdem ist es ein Omen. Meiner Meinung nach besteht nicht mehr der geringste Zweifel daran, dass Malinari sich in jenem Turm des einstigen Klosters aufhält.«
Chung hatte das Gleichgewicht wiedererlangt. Da die fremdartige Waffe sich in seiner Obhut befand, kannte er sich damit besser aus als die anderen. »Ich glaube, ihr habt beide recht«, sagte er, indem er den Handschuh aufhob und seine schlanke Hand hineinschob. Er benötigte ein paar Sekunden, bis seine Fingerspitzen fanden, wonach sie suchten, und das todbringende Arsenal aus Spitzen, Haken und glänzenden Klingen verschwand. Nacheinander glitten sie mit einem Klicken in ihre jeweiligen Gehäuse zurück.
»Machen wir, dass wir von hier weg kommen«, sagte Trask. »Das Licht schwindet. Bald bricht die Nacht herein, und das Letzte, was ich möchte, ist, im Dunkeln hier draußen zu sein.«
Keiner widersprach ihm, während sie hastig den Hügelabhang hinabkletterten …
Träume von Blut, oh jaaa! Von einem Leben voller Lust und Gier, davon, zum Lord aufzusteigen … gefolgt von Verbannung und Scheintod in den eisigen Ödlanden des Nordens. Träume von der gewaltigen Schneeschmelze und der Rückkehr zur Sternseite und den eingestürzten Stümpfen der einstmals mächtigen Festen. Und von einem Szgany namens Nathan, der über so unheimliche Kräfte verfügte, dass das Leben – und der Untod – in dem einstigen Paradies, wo die Szgany in den Wäldern jenseits der Grenzberge, auf der Sonnseite, wie Mastvieh immer mehr Fett ansetzten, unerträglich wurde. Ein Land, in dem Milch und Honig flossen, jaaa! – und selbstverständlich Blut, der Quell ewiger Jugend.
Träume von Jugend und Zeitaltern, die wie im Flug vergingen … und mit ihnen die Jugend. Doch brauchte ein Mann nicht alt auszusehen , nicht solange es Blut gab, das man sich nehmen konnte. Und auch eine Frau brauchte nicht alt auszusehen.
Träume von Vavara und ihrer Feste – diesem wunderbaren Kloster – und von der Kinderschar, die sie im Palataki heranzüchtete, allerdings für sich behielt und ihm versagte, sie zu benutzen.
Oh, Vavara … du undankbares, gieriges, vertrocknetes Miststück! Seit wie vielen Zeitaltern verlässt du dich bereits auf deine vorgetäuschte »Schönheit«, auf dein lügnerisches Talent zur Massenhypnose, um dein Dasein zu verlängern? Die Jahre kann man ja schon nicht mehr zählen. Und die ganze Zeit über hast du deine metamorphen Wandlungskünste brachliegen lassen. Und da du sie nicht nutztest, verkümmerten sie wie ein ungenutzter Muskel und wurden nutzlos für dich. Und nun sitzt du hier wie eine Närrin in einem Schloss am Ufer eines fremden Ozeans fest!
Ich hingegen, Nephran Malinari, werde nicht in der Falle sitzen, wenn sie … werde nicht festsitzen, wenn sie …
… wenn sie kommen?
»W-w-was?« Malinari schreckte aus dem Schlaf. »Was?«
Kerzengerade fuhr er von seiner Pritsche hoch, so plötzlich, dass seine Gefährtin, die während der langen Stunden des Tages bei ihm lag, auf die bloßen Bodendielen geschleudert wurde.
»Was? Was ist los?« Auch sie war mit einem Mal hellwach und blickte, splitternackt neben der Pritsche liegend, hoch in Malinaris Gesicht, als sähe sie ihn jetzt zum ersten Mal wirklich.
Hatte er am Abend zuvor noch auffällig gut aussehend gewirkt, als er die einstige New Yorkerin, Schwester Anna, aus den Fängen ihrer Mitschwestern »rettete«, die sie am liebsten gefoltert hätten, wirkte er nun schon eher wie ein Wamphyri!
Sein schwarz glänzendes, hinter die muschelartigen Ohren zurückgekämmtes Haar fiel ihm wie ein Umhang über die Schultern. Die hohe Stirn war, ebenso wie die fremdartigen Gesichtszüge, überhaupt alles Fleisch seines nackten Körpers, schiefergrau. Seine Augen leuchteten blutrot und die Nüstern der gewundenen Schnauze bebten, als er wie ein einem Albtraum entsprungener Jagdhund, oder vielmehr wie eine riesige Fledermaus, witternd die Luft einsog. Schlimmer jedoch als all diese Anomalien zusammen waren Malinaris monströse, unglaubliche Kiefer, die er angesichts einer unsichtbaren Präsenz weit aufriss.
»Zu früh!«, knurrte er, und es klang wie das Grollen einer Lawine. »Sie sind hier – sie haben mich gefunden – viel zu früh!«
»Bitte? Oh, was?« Schwester Anna schlug die Hand vor den Mund. »Ist es Vavara … ich meine, unsere Mutter
Weitere Kostenlose Bücher