ENTWEIHT
um in der Umgebung nach dem Rechten zu sehen, dachte sie, wir könnten dich ebenso gut in die Stadt, nach Krassos, mitnehmen.«
»Ich möchte keine Gunstbezeigungen von deiner Gebieterin«, sagte Malinari.
»Aber sie besteht darauf«, erwiderte die Nonne. »Sie sagte, wir sollen ... dass wir dich sicher ein Stück Wegs begleiten sollen und ...«
»... dass ihr zusehen sollt, dass ich aus ihrem Gebiet verschwinde, aye!«, knurrte Malinari.
»... und dass du ihre ... dass du ihre Sorge um dich zu schätzen wüsstest«, fuhr die Nonne, wenn auch stockend, fort.
Malinari zeigte ihr die Zähne und machte Anstalten, sich abzuwenden … überlegte es sich dann jedoch anders und wandte sich ihr wieder zu. Offenbar hatte Vavara nicht vor, Ruhe zu geben, bis sie wusste, dass er ein für allemal verschwunden war. Und da es seinen Absichten entgegenkam, das Miststück in Sicherheit zu wiegen, konnte es nicht schaden, das Angebot anzunehmen.
»Deine Gebieterin ... ist sehr großzügig«, sagte er. »Der Weg nach Skala Astris ist weit und ich weiß nicht, ob ich dort ein Taxi bekommen werde. Da ich außerdem nicht unbedingt auffallen möchte, indem ich nächtens die Straße entlangspaziere ...«
Die Fondtür sprang auf. Malinari stieg ein und wurde ohne weitere Unterbrechung nach Krassos gefahren. Die beiden in Kapuzengewänder gehüllten Frauen, die vorne saßen – einstmals Bräute Christi, nun jedoch der un heiligen Hexe Vavara verschrieben – blickten kein einziges Mal zu ihm nach hinten. Gut möglich, dass sie ihn fürchteten; ja, Malinari war sich dessen sicher –
– allerdings konnte er sich vorstellen, dass sie weit größere Angst vor Vavara hatten ...
In einer dunklen, verlassenen Gasse in den Randbezirken der Hafenstadt setzten sie ihn ab und kümmerten sich anschließend um ihre weiteren »Pflichten«. Auf der Fahrt nach Krassos hatte Malinari einen Blick in ihre Gedanken geworfen; er wusste, wohin sie wollten: zum Hafen, um dort ihre Schwestern abzulösen, die ein Auge auf die ankommenden Fähren hatten. Erst vor Kurzem hatte wieder eine angelegt.
Da er ihnen Zeit lassen wollte, damit sie aus dem Weg waren, ging er zu Fuß die Strandpromenade in Richtung Hafen entlang, bis er eine Taverne mit Sitzgelegenheiten im Obergeschoss fand, von wo aus man einen guten Blick auf die Durchgangsstraße hatte. Er setzte sich, bestellte Rotwein und lauschte beruhigenden Bouzouki-Klängen, während er in dem über der Bar angebrachten Fernseher dem Hüftkreisen einer Bauchtänzerin zusah. Der Empfang war ziemlich schlecht, sodass die Gestalt auf dem Bildschirm stroboskopartig mal ein-, mal wieder ausgeblendet schien. Malinari konnte nicht lange hinschauen, denn er bekam davon Kopfschmerzen, außerdem war er ja ohnehin bestrebt, die Straße im Auge zu behalten. Doch so dicht am Zentrum einer größeren Stadt – so dicht bei so vielen Menschen –, war er seinem üblichen Nachteil ausgeliefert. Er vermochte sie nämlich alle zu hören .
Er hörte sie denken . Und da ihm nur allzu bewusst war, welche Gefahren dies barg, versuchte er, nicht hinzuhören, was zumindest eine Zeit lang funktionierte ...
Da Malinari, so gut es ging, Menschengestalt vortäuschte, fiel er in dieser Umgebung nicht weiter auf; er konnte ohne Weiteres für einen Italiener, Franzosen oder auch weltgewandten Griechen durchgehen. In dem gedämpften blauen Licht, das in der Taverne herrschte, war nicht zu erkennen, wie bleich er war. Sein Haar trug er modisch lang und offen, lediglich an den Schläfen und im oberen Bereich der Koteletten war es mit Gel nach hinten gekämmt, um die oberen Auswüchse seiner fleischigen, muschelartig gewundenen Ohren zu verbergen. Andernfalls hätten diese ihn womöglich verraten – doch verraten als was? Etwa als Fremdling mit missgebildeten Ohren?
Abgesehen davon war er im Grunde nur ein weiterer einsamer Tourist, der in der Nachsaison ausging, um nach einem unglaublich heißen Tag die Kühle des Abends zu genießen. Nun, vielleicht war seine Nase ein bisschen merkwürdig – irgendwie wirkte sie flach, so als hätte die Natur sie zu weit zurückgeschoben – allerdings war die Taverne zu drei Vierteln leer und keiner der Stammkunden schenkte ihm große Beachtung …
… was womöglich an seinen Augen lag.
Wenn jemand ihn neugierig oder zu lange anblickte, bedachte Malinari ihn mit einem Blick aus seinen Augen unter den geschwungenen Brauen – aus diesen ach-so-durchdringenden Augen, die schwarz wie die Nacht
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