ENTWEIHT
akzeptiere deine Erklärung der Tatsachen, wie wir sie kennen. Leukämie, Anämie, diverse Blutkrankheiten – das kann einen Menschen durchaus umbringen. Und ich glaube auch, dass man auf gewissen griechischen Inseln und ganz bestimmt in Rumänien Leute, die auf diese Art umkommen, immer noch mit Silbermünzen auf den Augen bestattet. Ich bestreite nicht, dass alte Bräuche sich lange halten, Lardis, oder dass das, was wir hier gesehen haben, bei den Szgany eine völlig normale Sitte ist. Aber du erwähntest andere Dinge, die die Angelegenheit komplizieren ...«
»Zum Beispiel?«
»Dieser alte Stammesführer, äh, Vladi Ferengi?«
»Ja, was ist mit ihm?«
Trask saß da, das Kinn in die Hand gestützt, und knetete seine Unterlippe. Über seinen Schreibtisch hinweg starrte er den alten Lidesci an. »Vor etwa fünfeinhalb Jahren«, sagte er schließlich, »hatten wir schon mal Besuch von der Sonnseite ... einen menschlichen Besucher, meine ich. Ich spreche von Nathan Keogh. Damals gelangte er durch das Tor nach Perchorsk – wenn auch nicht unbedingt ›aus eigenem freiem Willen‹ ...« Nachdenklich hielt er inne.
»Natürlich nicht«, erwiderte Lardis. »Er wurde von seinem Bruder, dem Vampir, Nestor von den Wamphyri, in das Tor auf der Sternseite geworfen! Oder vielmehr von Nestors ranghöchstem Leutnant, Zahar. Darauf machte er sich in dieser Welt die Geheimnisse des Möbiuskontinuums zu eigen und nahm dich, deine Leute und deine Waffen mit auf die Sonnseite, um uns in unserem Kampf gegen Vormulac Ohneschlaf und Devetaki Schädellarve beizustehen. Huh! Aber das ist doch alles bekannt. Was ist damit?«
»Als Nathan aus Perchorsk floh«, fuhr Trask fort, ebenso sehr zu sich selbst wie an Lardis gewandt, »fand er Hilfe bei umherziehenden Zigeunern. Seltsamerweise – eigentlich unvorstellbar – befanden sie sich mitten im Winter so hoch oben im Norden! Und was dieser Vladi dir gegenüber andeutete, als er von ›seltsamen Orten‹ sprach ...«
»Ja?«
»Nun, von Nathan habe ich nie die ganze Geschichte gehört – damals hielten wir es für nicht weiter wichtig – aber wenn ich mich recht entsinne, hatte er mit dem Anführer der Gruppe, die ihm half, eine ganz ähnliche Unterredung. Obendrein trifft die Beschreibung dieses Anführers, soweit ich mich erinnere, genau auf jenen Vladi zu.«
»Und wie hieß er, dieser Anführer?« Lardis war mit einem Mal Feuer und Flamme.
Trask schüttelte den Kopf. »Das habe ich nie erfahren. Aber ich weiß noch, dass Nathan sagte, diese Leute seien Nachkommen von Tributanten der Wamphyri, die vor Jahrtausenden mit ihren Gebietern durch das Tor gekommen sein müssen. Schon dass sie sich als Wanderer – Traveller – bezeichnen, hätte uns das sagen müssen. Außerdem erzählte er, dass sie fest daran glauben, dass ihre Gebieter eines Tages ... dass sie eines Tages zurückkehren werden.«
»Und die merkwürdigen Orte?«
»Nun, das ist natürlich reine Mutmaßung«, sagte Trask, »aber könnten die merkwürdigen Orte nicht jene Regionen sein, in die ihre Gebieter eines Tages zurückkehren beziehungsweise wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach wieder auftauchen sollen? Das Tor unter den Karpaten zum Beispiel, oberhalb der Stelle, an der der unterirdische Fluss bei Radujevac wieder ans Tageslicht tritt? In der Umgebung des Kinderheimes streiften ständig Zigeuner umher. Dann gibt es da noch die Korwatei im einstigen Moldawien; vor, oh, fünfzehnhundert Jahren besaß Faethor Ferenczy dort eine Burg. Und die Region um Halmagiu in Rumänien im Schatten des Zarandului-Gebirges, die unter dem Einfluss Faethors stand und wo nach ihm sein Blutsohn Janos herrschte. Man könnte sogar Perchorsk noch in Betracht ziehen, auf das dieser Vladi mit seinem talentierten ›Riecher‹ gekommen ist. Das ist keineswegs unmöglich, Lardis. Als Szgany bist du ja selber gewissermaßen übersinnlich veranlagt ...«
»... und ihr Tributanten-Blut ist weit mehr mit dem Makel der Wamphyri behaftet als das meine, so viel steht fest!«, nickte Lardis.
»Ich wette mit dir, dass es sich um den gleichen Stamm handelt«, sagte Trask.
»Ich halte nicht dagegen!«, sagte Lardis. »Aber ... was hat das zu bedeuten?«
»Ich weiß nicht«, entgegnete Trask. »Ich bin mir nicht sicher. Aber eines wüsste ich gern: Wo waren die Szgany Ferengi, bevor dieses arme Mädchen seiner seltsamen Krankheit, ihrer sogenannten Anämie, erlag? Und was hatten diese Zigeuner überhaupt in jenem Teil Griechenlands zu
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