ENTWEIHT
dass du das meinst. In welcher Hinsicht merkwürdig, alter Stammesführer?‹
Mit einem Mal wurde der Blick seiner wässrigen, alten Augen ganz klar. Seine Hand schloss sich um mein Knie. ›Zu welchem Clan gehörst du? Zu welchem Stamm? Wie heißt du, he?‹
›Ich bin Lardis, ein Lidesci!‹, erwiderte ich prompt. Und weshalb auch nicht, schließlich bin ich stolz darauf.
›Ein Lidesci, eh?‹ Blinzelnd sah er mich an. ›Ah, ein Lidesci, sagst du! Huh! Den Namen kenne ich nicht, habe ich noch nie gehört – und falls doch, kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Vielleicht früher, in den alten Zeiten ...‹
›Wir waren nur wenige, und es ist schon lange her‹, erklärte ich. ›Jetzt gibt es uns nicht mehr, nur noch mich. Und immer, wenn ich auf Zigeuner treffe, halte ich an und spreche mit ihnen. Um der alten Zeiten willen, verstehst du? Es scheint mir richtig so.‹
›Aye, du hast recht‹, erwiderte er. ›Aber es gibt nicht mehr viele, die sich an die alten Zeiten erinnern. Und noch weniger, die über die besonderen alten Orte Bescheid wissen!‹
›Die Orte, von denen du gesprochen hast?‹
Er tippte sich mit dem Finger an seine blaugeäderte, krumme alte Nase und nickte weise. ›Ich habe einen Riecher dafür! Meine Nase führt mich dahin, an Orte, an denen plötzlich unvermittelt eine Eule schreit oder eine Fledermaus vor dem Mond vorüberhuscht. Sonderbare Orte, an denen die Zeit keine Bedeutung hat, aye. Orte, die die Szgany im Gedächtnis bewahren – einige der Szgany, nur ganz wenige von uns – und die wir von Zeit zu Zeit aufsuchen. Alte Orte, an die wir schon seit jeher ziehen, aber manchmal kommt auch ein neuer hinzu, wenn dieser alte Zinken hier etwas riecht. Huh! Nur diesmal hat er mich im Stich gelassen. Na ja, vielleicht bin ich ja zu alt geworden, eh?‹
Nun, er war gebrechlich – und geistig wahrscheinlich auch nicht mehr ganz auf der Höhe – und ich hatte den Eindruck, dass er wirr redete. Obwohl seine Vorfahren aller Wahrscheinlichkeit nach ein fragwürdiges Pack gewesen waren, vielleicht auch gerade deshalb, tat er mir leid. Eine Zeit lang zumindest, bis er fortfuhr:
›Na gut, Lardis von den Lidescis – schön, dass wir uns begegnet sind, wer du auch immer sein magst. Schon merkwürdig, dass du die alte Sprache sprichst, sogar auf eine uralte Art – deshalb hielt ich dich wohl für den Boten, auf den ich schon mein ganzes Leben lang warte, so wie mein Vater und der Vater meines Vaters vor mir. Denn ich bin Vladi Ferengi und genau wie du der Letzte meiner Linie!‹
Er musste mitbekommen haben, wie ich zusammenzuckte, denn er machte: ›Eh? Eh? Du kennst uns also, hast schon von uns gehört?‹ Mit einem Mal wurde sein Ton schroff.
Ob ich schon von ihnen gehört hatte!? Auf der Sonnseite gilt der Name seit undenklichen Zeiten als Fluch! Ferenc, Ferenczy, Ferengi – in all seinen Erscheinungsformen eine Beschwörung des Bösen! Selbst unter ihresgleichen, den Wamphyri, waren sie einst berüchtigt! Der Letzte, von dem ich weiß, war der mutierte Riese Fess Ferenc. Er gehörte zu der Handvoll Wamphyri, die die Schlacht um den Garten des Herrn überlebten und fliehen konnten. Huh! Ob ich schon von ihnen gehört hatte! Diese Leute waren also die Nachkommen einer uralten Linie von Ferenc-Tributanten, eh? Oh, das war vor langer Zeit, zugegeben, vor zweitausend Jahren, vielleicht mehr, und alles seit Langem vergessen, wenn auch nicht zur Gänze. Dennoch gab es mir zu denken ...
›Der Name Ferenczy ist nicht ungewöhnlich in Rumänien!‹, ersann ich rasch eine Notlüge, ›und da wollt ihr doch hin? Nun, ich glaube, ich habe selber ein, zwei Ferenczys unter meinen Vorfahren, deshalb war ich überrascht, den Namen aus deinem Mund zu hören!‹ Letzteres war zwar eine verdammte Lüge. Ersteres allerdings nicht; schließlich hast du mir ja selbst gesagt, Ben, dass Ferenczy in Rumänien seit jeher ein uralter, angesehener, ehrbarer Name sei, was für viele alte Familiennamen von der Sonnseite gilt.
Vladi hatte jedoch die Lust an unserer Unterhaltung verloren; schweigend saß er da und blickte mich düster an, bis mein Begleiter von vorhin wieder auftauchte, diesmal mit schlechten Nachrichten.
›Im Wald treiben sich Fremde herum!‹, berichtete er seinem Häuptling, mich aus seinen braunen Augen argwöhnisch von oben bis unten musternd.
›Ah!‹, sagte ich. ›Das dürften meine Kollegen sein, die mich hier abgesetzt haben, damit ich euch aufsuchen kann. Sie sind keine
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