Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
die Flucht schwierig?“ Ich fühlte sofort eine Antipathie gegen diesen Julien aufwallen. Wenn ich oder meine Schwester meinen Heimatort als ein Kuhkaff bezeichneten, war das okay. Wir waren dort aufgewachsen und wussten, wovon wir sprachen. Aber einen völlig Fremden, der nie dort gelebt hatte, wollte ich nicht so abfällig über meinen Geburtsort sprechen hören. Kuhkaff hin oder her.
Doch bevor i ch etwas erwidern konnte, wandte er sich bereits wieder von mir ab, als hätte er eh keine Antwort von mir erwartet. Etwas verdutzt stand ich da und kam mir noch verlorener vor, als zuvor. Marianne war in ein Gespräch mit einem ihrer Freunde vertieft und keiner der anderen kümmerte sich um mich. Also sah ich mich in der Bar um.
Sie war klein und es herrschte ein ziemlich schummriges Licht. Überall standen Grüppchen von Leuten herum, die sich lebhaft unterhielten, was den Lärmpegel zusammen mit der im Hintergrund laufenden Musik etwas unangenehm machte, doch das schien niemanden zu stören. Alle schrieen sich über ihre Biergläser hinweg an und ein kurzer Blick über die Menge enthüllte mir, dass ich so ziemlich die Jüngste im ganzen Raum war. Die meisten wirkten wesentlich älter und ehrlich gesagt teilweise auch ziemlich abgelebt. Schien nicht unbedingt eine typische Studentenkneipe zu sein.
„Bist du das erste Mal in Paris?“, erklang eine freundlich klingende, männliche Stimme neben mir. Ein weiterer Freund von Marianne hatte wohl mit Julien die Plätze getauscht und lächelte mich neugierig an.
„Nein. Aber ich schätze es ist anders, wenn man nur zu Besuch da ist.“ Ich kam mir selber blöd vor, als ich mir zuhörte. Ich klang wie ein Schulmädchen. Dabei war ich achtzehn, verdammt noch mal. Wieso benahm ich mich wie ein Teenager, der zum ersten Mal die große weite Welt sah?
Sebastien, wie mein Gesprächspartner sich mir vorstellte, schien sich jedoch nicht daran zu stören. Er stimmte mir grinsend zu und fragte mich dann nach meinen Studienfächern. Kaum hatte ich ihm eröffnet, dass ich Literaturwissenschaften studierte, hüpften seine Augenbrauen alarmiert nach oben. „Oh, nein! Nicht eine weitere Simone de Beauvoir“, rief er gequält aus. „Mit so einer hatte ich erst letzte Woche ein Streitgespräch über die weibliche Emanzipation im heutigen Zeitalter. Verschone mich bitte damit.“
Na, toll! Innerhalb von fünf Minuten hatte ich es geschafft, zwei Freunde meiner Schwester zu vergraulen. Ich war wirklich ein Naturtalent, was das Aufrechterhalten einer zwischenmenschlichen Distanz betraf. Ich sollte mich bei der psychologischen Fakultät als Untersuchungsobjekt zur Verfügung stellen. Vielleicht konnte ich ja damit Geld verdienen.
Ich schenkte Sebastien ein unsicheres Lächeln und überlegte mir gerade eine unverfängliche Antwort, als jemand aus der Clique zum Aufbruch rief. Ich war erleichtert, dass ich damit eine Antwort schuldig bleiben konnte und überdies froh, dass wir nicht in dieser schummrigen Bar blieben. Irgendwie fühlte ich mich in ihr nicht sonderlich wohl.
Ich folgte den anderen nach draußen und lief etwas abseits hinter ihnen her, um sie alle nun meinerseits einer genauen Musterung zu unterziehen. Da waren neben Julien und Sebastien noch eine Frau und ein weiterer Mann. An den Mann hatte sich Marianne locker eingehängt und sie unterhielt sich lachend mit ihm. Mir fiel auf, dass sie alle ausnahmslos gut gekleidet waren. Kein einziger der Männer trug Jeans, was ich ein bisschen befremdlich fand, immerhin war Freitagabend. Wenn man so wie meine Schwester, und ich vermutete mal schwer auch der Rest ihrer Clique, die ganze Woche über Kostümchen oder Anzug tragen musste, dann freute man sich doch bestimmt darauf, in seiner Freizeit auf bequemere Klamotten umsteigen zu können? Doch alle drei Männer trugen dunkle Stoffhosen, teure Hemden und passende, elegante Sakkos. Die Freundin meiner Schwester war genauso gekleidet wie Marianne. Aufgestylt und aufreizend. Ich passte mit meinem nachlässigen Outfit in die ganze Gruppe ungefähr so gut, wie eine Motte in eine Schar bunt schillernder Schmetterlinge.
Vor einem Club, vor dem sich schon eine lange Warteschlange gebildet h atte, hielt der ganze Tross an. Ich seufzte leise auf. Ich fand wenig Vergnügen darin, stundenlang vor einer Tür auf Einlass zu warten. Doch anstatt sich hinten anzustellen, gingen meine Schwester und ihre Freunde einfach nach vorne zum Türsteher, irgendeiner nannte einen Namen und schwuppdiwupp
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