Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
mein Haar nicht besonders. Es war dunkelbraun, dick und lockte sich unregelmäßig. Es sah offen stets so aus, als wäre ich gerade erst a ufgestanden oder hätte sie von Hunderten von Mäusen zerwühlen lassen. Als ich vierzehn gewesen war, hatte ich sie ganz kurz abgeschnitten, aber das war noch schlimmer gewesen, da sie da noch schrecklicher in alle Richtungen abgestanden hatten und gar nicht mehr zu bändigen gewesen waren. Seitdem trug ich es schulterlang und band es immer straff zu einem Pferdeschwanz oder einem zusammengewurstelten, tiefen Knoten. So ging es mir am wenigsten im Weg um und ich hatte keine Arbeit damit. Ich hatte nie verstanden, wie meine Schwester stundenlang im Bad ihre Haare föhnen konnte, ohne einen ausgewachsenen Schreikrampf zu bekommen. Dafür waren ihre Haare wundervoll glatt und samtweich und strahlten in einem warmen, honigblonden Ton.
Wir waren, was unser Aussehen betraf, sehr verschieden, meine Schwester und ich. Ich war groß, blass und hatte eher einen athletischen, man könnte auch sagen schlaksigen Körperbau. Meine Schwester war einen guten Kopf kleiner als ich, hatte stets gebräunte Haut und besaß Rundungen an den richtigen Stellen. Sie war zweifelsohne die Hübschere von uns beiden, doch das hatte mich eigentlich nie gestört.
Ich gab nicht so viel auf mein Aussehen. Manchmal störte es mich, dass Jungs mich nicht so ansahen, wie sie andere Mädchen ansahen, aber im Grunde war mir das Recht. Wer brauchte schon Jungs, die einem unreife, machohafte Sprüche an den Kopf warfen aber im richtigen Moment den Mund nicht aufbekamen? Ich fand das Angebot an männlichen Wesen an meiner Schule nie sonderlich attraktiv. Da war ich lieber solo geblieben. Und tatsächlich hatte ich es wohl auch als einzige an meiner Schule geschafft, meine komplette Schulzeit ohne ein einziges Date zu überstehen.
Was irgendwie schon erbärmlich war, aber ich hatte mich einfach nie dazu überwinden können, mich mit einem der Jungs ins Kino der nächstgrößeren Stadt zu verabreden, was zugegebenermaßen auch nie einer vorgeschlagen hatte, weil ich einfach zu weit draußen auf dem Land gewohnt und nie einen fahrbaren Untersatz gehabt hatte. Nicht mal ein Mofa haben meine Eltern mir erlaubt. Sie hielten es für unzüchtig für ein junges Mädchen.
Wenn sie jetzt sehen könnten wie unzüchtig meine Schwester sich für ihr Treffen mit ihren Freunden gekleidet hatte, würden sie ungelogen auf der Stelle tot vom Stuhl fallen. Marianne trug eine hautenge schwarze Jeans, die wie an ihren Beinen festgewachsen wirkte und dazu ein ebensolch hautenges, freizügig ausgeschnittenes Oberteil, bei dem die Jungs sich mit Sicherheit nicht in ihren hellbraunen Augen verlieren würden.
Wir verließen die Wohnung und liefen im immer noch anhaltenden Nieselregen einige Straßen entlang auf eine Bar zu, durch die laute Musik nach Außen dröhnte. Ich war einigermaßen gespannt, was mich im Inneren erwartete. Wie gesagt, konnte ich die Abende, an denen ich in Bars unterwegs gewesen war, an zwei Händen abzählen und ich glaubte kaum, dass die Dorfbrasserie von zu Hause mit der Kneipenwelt in Paris zu vergleichen war.
Marianne ging im Innern zielstrebig auf eine Gruppe von Leuten zu, die wohl schon etwas länger dort standen, weil sie alle bereits halb ausgetrunkene Gläser mit Bier in der Hand hielten. Sie waren alle schätzungsweise zehn Jahre älter als ich, was zu erwarten gewesen war, da meine Schwester fünf Jahre älter war als ich.
Marianne wurde mit großem Hallo begrüßt und es gab Küsschen links, Küsschen rechts und ich kam mir ein wenig linkisch vor, wie ich scheu lächelnd daneben stand und zusah. Schließlich legte Marianne einen Arm um meine Schultern und stellte mich allen vor.
„Leute, das ist Josephine, meine kleine Schwester. Sie hat diese Woche ihr Studium in Paris begonnen und wird eine Weile bei mir wohnen. Sie will heute mal erfahren, wie echte Pariser das Wochenende einläuten.“
Mein „Salut“ wurde freundlich aber ziemlich desinteressiert erwidert, was wohl dem Ergebnis ihrer einhelligen röntgenblickmäßigen Musterung meiner Person zuzuschreiben war. Ich passte wohl nicht ganz in ihr Muster. Was mir eigentlich ganz Recht war, denn ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen.
Einer von Mariannes Freunden, der zufälligerweise neben mir stand, lächelte mich ein wenig von oben herab an und stellte sich als Julien vor. „Dann hast du dich also auch aus den Fesseln des Kuhkaffs befreit? War
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