Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
entfernt der Besitzer des Geschäfts stand und mich durch zwei Regalböden hindurch unverhohlen aufmerksam musterte.
Irritiert sah ich mich erneut im Laden um und registrierte, dass tatsächlich niemand außer er und mir da waren. Kein David. Verwirrt sah ich wieder zu dem alten Mann und er schien angesichts meiner Reaktion ebenfalls etwas irritiert zu wirken.
„Wer bist du?“, ertönte plötzlich seine dünne, leicht zittrig wirkende Stimme, die allerdings eine Schärfe aufwies, die ganz im Gegensatz zu seiner gebrechlichen Erscheinung stand. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Der stiere Blick des Mannes fesselte mich. Und plötzlich empfand ich wieder diesen seltsamen Druck gegen meinen Kopf. Als würde etwas eindringen wollen. Ohne wirklich darüber nachzudenken, drückte ich automatisch innerlich mit aller Kraft dagegen.
„Wer bist du?“, fragte der alte Mann erneut, diesmal noch schärfer und sein Blick wurde hart. Gleichzeitig nahm der Druck auf meinen Kopf zu. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Gab es denn in ganz Paris nur noch unheimliche Typen, die es auf mich abgesehen hatten? Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden, auch wenn ich spürte, dass ich das sollte. Es war, als würde er mich mit seinen Augen fesseln.
Das plötzliche Quietschen der sich öffnenden Einganstür rettete mich aus meiner Starre. Auch der alte Mann wurde dadurch kurz abgelenkt, nahm den Bruchteil einer Sekunde den Blick von mir, um zur Tür zu sehen, und dieser Moment reichte mir, um meine Fluc htinstinkte in Kraft zu setzen.
Ich nutzte die noch offen stehende Tür und flitzte los. Rannte vorbei an dem etwas verdutzt wirkenden Mann, der eben das Geschäft betreten wollte und mir mehr oder weniger freiwillig die Tür aufhielt und stürzte ohne auf mein Fahrrad zu achten, das noch angekettet vor der Tür stand, in die nächstbeste Straße davon.
Das Druckgefühl in meinem Kopf nahm sofort ab und erlosch schon nach wenigen Metern. Ebenso das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich rannte dennoch weiter, zu verwirrt, um einen klaren Gedanken fassen zu können.
Als meine brennenden Lungen schließlich verlangten, das Tempo zu drosseln hielt ich an und hielt mir die schmerzende linke Seite. Ich beugte mich vornüber und versuchte zu Atem zu kommen. Einige vorbeilaufende Passanten musterten mich misstrauisch. Ich warf ihnen einen abweisenden Blick zu und ging schließlich langsam weiter, um nicht unnötig viel Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Dabei stoben in meinem Kopf die Gedanken durcheinander.
Warum zum Teufel hatte mich dieser alte Mann so intensiv angestarrt? Und wieso wollte er wissen, wer ich war? Die Frage hatte eindeutig mehr enthalten als eine bloße Namensangabe. Als vermutete er mehr hinter meiner Person. Was mich unwillkürlich erzittern ließ. Was war nur an mir, dass ich anscheinend alle unheimlichen Typen von ganz Paris anzog?
Ich stutzte, als ich plötzlich bemerkte, dass ich vor der Unibibliothek stand. Anscheinend hatte ich wie ganz von selbst den Weg hierher eingeschlagen. Und bevor ich überlegen konnte, was ich tun sollte, trat direkt vor mir, aus dem Schatten einer Säule des Gebäudes, ein weiterer unheimlicher Typ in mein Blickfeld.
„Hallo Josephine.“ David s Stimme klang eindeutig selbstzufrieden.
Für einen Moment war ich wie gelähmt und starrte ihn verdutzt an wie ein geblendetes Reh auf der Straße. Mein Fluchtinstinkt schien gebrochen, denn ich reagierte nicht, als David langsam auf mich zukam. „Du hast also tatsächlich auf mich gewartet“, brachte ich nur resigniert über die Lippen, als er schließlich vor mir stand.
David zog angesichts dieser Bemerkung leicht irritiert die Augenbrauen hoch. „Ich hatte gehofft, dass du heute hier vorbeikommst. Ich möchte mit dir reden.“ Sein Tonfall sollte wohl belanglos klingen, doch ich meinte, darin ein wachsames Aufhorchen angesichts meines Kommentars zu vernehmen.
„Da bist du heute nicht der einzige. Stell dich hinten an“, gab ich gereizt von mir. Ich hatte langsam genug von all diesen unheimlichen, unliebsamen Begegnungen und hatte außerdem keine Lust mehr auf dieses Scharadespiel, das D avid mit mir zu spielen schien. Meine widerspenstige Reaktion schien ihn etwas zu irritieren, denn ich spürte eine plötzliche Unsicherheit an ihm, die neu und ungewohnt war und mich mutiger stimmte. „Warum folgst du mir?“, fragte ich ihn scharf.
Er zuckte fast unmerklich vor mir zurück. „Wie kommst du darauf, dass ich dir folge
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