Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
mir einen Reim auf Davids Person zu machen. Dann fiel mir seltsamerweise der Abend der Modenschau ein. Sein Blick, als er mich in dem Kleid entdeckt hatte. Sein warmes Lächeln, das mir durch und durch gegangen war. Und so gar nicht in Einklang zu bringen war mit dem kalten Blick, den er mir später nach unserer Konfrontation zugeworfen hatte. Sein Verhalten war so widersprüchlich. So undurchschaubar. Und das hielt mich schließlich davon zurück, ihn anzurufen.
Ich legte mich auf mein Nachtlager, konnte jedoch noch immer keinen Schlaf finden. Vielleicht sollte ich es tatsächlich wie Karim machen und mir auch eine neue Heimat suchen. Der Gedanke, dass es irgendwo auf der Welt auch für mich einen Platz gab, der zu mir passte, stimmte mich irgendwie zuversichtlich und indem ich mir diesen in Gedanken ausmalte, schlief ich irgendwann schließlich ein.
Ich erwachte pünktlich kurz vor Morgengrauen, und obwohl ich wieder nur wenige Stunden geschlafen hatte, fühlte ich mich fit und ausgeruht. Allerdings auch wieder ein wenig unruhig. Mir fiel erst jetzt auf, dass ich die letzten Tage gar nicht diese nervöse Unruhe gespürt hatte, die ich sonst immer während der frühen Morgen- und Abendstunden empfunden hatte. Seltsam. Doch jetzt nagte sie langsam wieder an mir. Es war, als würde sie neu erwachen. Stöhnend wälzte ich mich aus dem Bett. Na, toll. Das hieß dann wohl, dass ich mal wieder eine Runde laufen sollte.
Da es noch sehr früh war, wagte ich mich auf die Straße und lief über eine Stunde durch die Gegend, bis sich die nagende Unruhe in meinem Bauch langsam gelegt hatte. Die Wohnung lag immer noch still da als ich zurückkam, und ich stellte mich schnell unter die Dusche. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit dem Tag anfangen sollte, doch auch heute reizte mich der Gedanke, in die Bibliothek zu gehen, so wie es sonst samstags für mich üblich war, nicht sonderlich. Doch zu Hause wollte ich auch nicht bleiben. Ich hatte keinen Bedarf an einer erneuten Inquisition durch Marianne. Ich nahm an, dass sie im wachen Zustand wesentlich misstrauischer reagieren würde, was mein angebliches Umherziehen mit meinen „neuen Freunden“ betraf und mich darüber ausfragen würde. Und ich war mir sicher, dass ich sie diesbezüglich nicht wirklich überzeugend anlügen konnte. Also blieb mir wieder mal nur die Flucht ins Freie.
Seufzend schob ich mein Fahrrad durch die Haustür auf die Straße. Ich hatte es langsam satt, blöd durch die Stadt zu fahren. Ich beschloss, dass es heute durchaus in Ordnung war, in me inen Lieblingströdelladen zu gehen. Ich war eine Ewigkeit nicht mehr dort gewesen und war gespannt, ob dort neue Schätze auf mich warteten.
Gemütlich radelte ich zu dem Geschäft und stellte mit Überraschung fest, dass der Laden sogar schon geöffnet hatte. Zögernd trat ich ein und wurde wieder einmal von der absoluten Stille, die im Inneren herrschte, überwältigt. Ich musste aufseufzen, so wohltuend empfand ich diese harmonische Ruhe.
Im Laden war niemand zu sehen, auch der Besitzer nicht. Ich schlenderte zu den Bücherregalen und war alsbald gefangen von der zur Verfügung stehenden Auswahl.
Ich registrierte unterbewusst, dass irgendwo im Laden jemand umherlief, aber da die Eingangstür die ganze Zeit verschlossen geblieben war, vermutete ich, dass es der Besitzer des Geschäfts war und beachtete ihn nicht weiter. Ich wälzte mich bei meiner Suche nach neuen, interessanten Entdeckungen durch unzählige Bücher unterschiedlicher Themen wie Golfspielen, Krimis, Kochen und sogar ein altes Witzbuch mit humorvoll illustrierten Zeichnungen. Ich stöberte von Regal zu Regal, vergaß ganz wo ich war und war gerade in ein altes Buch über Gedichte aus dem neunzehnten Jahrhundert vertieft, als mich völlig unvermittelt wieder das Gefühl überfiel, beobachtet zu werden.
Ich ließ vor Schreck fast das Buch fallen. Das Gefühl war so intensiv und stark, dass mir sofort klar war, dass sich mein Beobachter in unmittelbarer Nähe zu mir befinden musste. In zu unmittelbarer Nähe. Er konnte keine drei Meter von mir ent fernt stehen.
Erschrocken sah ich mich um, doch der Laden war nach wie vor still und wirkte leer. Ich war, soweit ich das von meinem Platz aus beurteilen konnte, der einzige Kunde. Dennoch fühlte ich mich eindeutig beobachtet. Vorsichtig schielte ich um das Bücherregal hinter dem ich verborgen war, innerlich darauf vorbereitet, David zu erblicken, und zuckte jäh zurück, als wenige Meter von mir
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