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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem zerrissenen Mantel geknüpft hatte, und die Narbe an seiner Schulter schien stärker zu pulsieren als bisher. Dels Gesicht wirkte leer und schlaff, wie immer, wenn es unter einer starken inneren Spannung stand. Aber die Hand, die das Schwert hielt, war ruhig.
    Sie marschierten los, beide dicht an die geneigte Wand des Stollens gepreßt und zehn Schritte Abstand zu den nachfolgenden Kriegern haltend. Der Boden war lockerer als am Tag zuvor und schien das Geräusch ihrer Schritte aufzusaugen.
    Das Licht der beiden Fackeln in den Händen der Krieger hinter ihnen reichte nur wenige Schritte voraus, so daß sie ständig in eine schwarze, mit gleichmäßigem Tempo vor ihnen zurückweichende Wand hineinzulaufen schienen.
    Der Gang zog sich endlos in die Länge. Einmal erschien es Skar, als schimmere weit vor ihnen ein trübes, graues Licht, aber es war nicht mehr als ein Spuk, den ihm seine überreizten Nerven vorgaukelten.
    Del blieb plötzlich stehen. »Da vorne ist etwas«, flüsterte er.
    Auch Skar glaubte irgendwo vor ihnen einen dunklen, formlosen Umriß zu erkennen. Er hob die Hand, um die anderen zum Stehenbleiben zu bewegen, duckte sich und schlich auf Zehenspitzen weiter. Ein plötzlicher Windstoß ließ das Licht der Fackel flackern und dann heller und intensiver auflodern, fast als wollten ihnen die Geister dieses unterirdischen Labyrinths ihre Hilflosigkeit mit aller Macht vor Augen führen.
    Vor ihnen lagen die leblosen Körper von drei Männern.
    Oder das, was davon übrig war…
    Skar blieb abrupt stehen. Er mußte sich zwingen, nicht den Blick zu wenden und dem schrecklichen Anblick standzuhalten. Die drei Männer trugen Uniformen Ipcearns. In ihren verkrampften Händen lagen noch die Waffen — Schwerter und Dolche —, mit denen sie versucht hatten, sich zur Wehr zu setzen, als die schwarze Todeswoge über sie hinweggeflutet war. Der Boden unter ihnen war dunkel von geronnenem Blut, und die Körper schienen, dem Geruch nach zu urteilen, in der feuchtwarmen Tropenluft, die hier unten herrschte, bereits in Verwesung übergegangen zu sein. Ihre Gesichter waren zerstört, blutige Krater, in die nicht ein, sondern Dutzende von Khtaäm ihre Fänge gegraben und das Leben aus ihnen herausgerissen hatten, und unter der zerfetzten Kleidung schimmerten hellrote, zerfaserte Fleischlappen und weißliche Knochen.
    Skar fühlte Übelkeit in sich emporsteigen. Er war dem Tod schon oft begegnet, auch dem gewaltsamen Tod, aber dies hier war etwas, das den Panzer um seine Seele durchbrach. Er versuchte sich vorzustellen, welches Drama sich hier abgespielt haben mußte, aber es gelang ihm nicht. Die drei Männer waren hier heruntergekommen, um ihn und die anderen erbarmungslos und hinterhältig zu töten, und trotzdem verspürte er noch Mitleid mit ihnen. Trotz allem waren sie Menschen, Menschen noch dazu, die von der Richtigkeit dessen, was sie taten, überzeugt gewesen waren, und sie waren einen Tod gestorben, den er selbst seinem schlimmsten Feind nicht gewünscht hätte.
    Er drängte das Ekelgefühl in seinem Hals mit aller Macht zurück, bückte sich und bedeckte die drei Leichname mit den Fetzen ihrer Mäntel, so gut es ging.
    Trotzdem wurde das Grauen nicht schwächer. Die Angst war wieder da, eine Angst, die er jetzt zum ersten Mal wirklich erkannte. Es war nicht die Furcht vor Tod oder Schmerzen, sondern die Angst vor dem namenlosen, stummen Grauen, das diese Höhlen bargen, Angst davor, wahnsinnig zu werden. Nur mit Mühe gelang es ihm, seinen Blick von dem grausigen Bild zu wenden und weiterzugehen. Er glaubte jetzt nicht mehr, daß vor ihnen noch irgendeine Gefahr lauerte. Trotzdem hätte er am liebsten geschrien.
    Er hörte, wie Bernec hinter ihm scharf die Luft einsog, als er an den drei verkrümmt daliegenden Körpern vorbeiging. Die Mäntel, mit denen Skar sie zugedeckt hatte, schienen mehr von dem Grauen zu enthüllen als zu verbergen, und Skar mußte sich nicht umdrehen, um zu erkennen, daß die gleiche eisige Hand, die ihm den Atem abzuschnüren schien, auch die Seelen der anderen gepackt hatte. Keiner von ihnen verspürte Triumph oder auch nur Befriedigung darüber, daß ihre Feinde tot waren.
    Sie gingen jetzt schneller. Bernec und die anderen schlossen wortlos auf, als ertrügen sie es plötzlich nicht mehr, auch nur wenige Schritte voneinander getrennt zu sein, und als sie das Ende des Stollens erreichten und in den breiten, sanft geneigten Gang einbogen, der zum Ausstieg hinaufführte, waren

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