Enwor 1 - Der wandernde Wald
später wieder gehen wirst, oder weil er Angst vor dir hätte. Bernec und ich, wir… wir haben uns einmal geliebt, und wir sind immer noch gute Freunde, aber das ist alles. Du brauchst nicht zu glauben, daß er dir etwas schenkt.« Sie rückte ein Stück näher und umschlang ihn behutsam mit den Armen, wobei sie sich Mühe gab, nicht an die bandagierten und aufgeschürften Stellen an seinem Körper zu stoßen.
Ein warmes, verlockendes Gefühl stieg in Skar empor. Er versuchte, sich dagegen zu wehren, aber es ging nicht. Trotz des Aberwitzes der Situation, in der sie sich befanden, trotz Bernecs Nähe und der Beinahe-Gewißheit des Todes erregte ihn Coar, vielleicht stärker als jemals zuvor. Vielleicht gerade, weil es so war.
Ihre Hände glitten an seinen Schultern empor, tasteten über sein Gesicht und fuhren in einer unendlich zarten Bewegung über seine Lippen.
»Nicht«, flüsterte er. »Nicht… hier.«
Er stemmte sich hoch, raffte sein provisorisches Lager zusammen und kroch ein Stück weit in die Dunkelheit hinein.
In dieser Nacht liebten sie sich dreimal, wild und mit intensiver, beinahe wütender Kraft.
Und sie wußten beide, daß es das letzte Mal war. Aber es machte nichts. Es war gut so.
Zum dritten Mal waren sie zum Stolleneingang zurückgekehrt, und die Dunkelheit und die wesenlose, lauernde Schwärze an seinem Ende empfing sie schweigend und drohend wie die beiden Male zuvor. Diesmal war es Bernec gewesen, der hinaufgestiegen und den Sprung zum Stollen gewagt hatte. Weder Del noch Skar besaßen noch die Kraft und Geschmeidigkeit dazu, aber Bernec hatte sich als überraschend geschickter Kletterer erwiesen und auch den wagemutigen Satz über den Abgrund gemeistert. Skar hatte darauf bestanden, als dritter hinaufgezogen zu werden, um ihm und Coar Hilfe zu leisten, aber seine Kräfte waren bereits nach wenigen Augenblicken erlahmt, so daß er sich schließlich überreden ließ, sich auszuruhen und ihnen den Rücken zu decken.
Der Tunnel schien ihm auf unnatürliche Weise still und leblos. Ein leiser, kaum wahrnehmbarer Geruch nach Tod und Verwesung wehte von seinem Ende zu ihnen hinüber, und einmal glaubte Skar ein Geräusch zu hören, das sich aber nicht wiederholte.
Nach und nach kamen auch die anderen herauf. Ihre kleine Truppe war bedenklich zusammengeschrumpft — sie waren sechzehn gewesen, als sie von Went aufgebrochen waren: Del, Skar selbst, Bernec, Coar und zwölf Krieger. Jetzt waren sie noch zu elft — eine erschreckende Bilanz, dachte man, daß sie noch nicht einmal auf den wirklichen Gegner getroffen waren, ihn noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hatten. Und wahrscheinlich würden noch mehr von ihnen sterben, ehe sie Went wieder erreichten.
Wenn sie es erreichten.
Skar wartete voller Ungeduld, bis der letzte Krieger hinaufgestiegen war und Bernec mit einem erleichterten Seufzer das Seil aus den Fingern gleiten ließ. Trotz der schlechten Beleuchtung konnte er erkennen, wie blaß er geworden war. Ein Netz feiner, glitzernder Schweißtröpfchen perlte von seiner Stirn.
»Ist dir übel?« fragte Skar besorgt.
Bernec schüttelte den Kopf. »Es… geht«, sagte er schwach. »Keine Zeit… auszuruhen. Wir… müssen weiter…«
Skar nickte, wenn auch voller Widerwillen. Es war Wahnsinn, jetzt weiterzugehen und sich in einen Kampf mit einem unbekannten Gegner zu stürzen. Die Männer brauchten nach der anstrengenden Kletterei eine Pause. Aber trotzdem verstand er Bernec nur zu gut. Keiner von ihnen hatte in dieser Nacht wirklich geschlafen, und jeder einzelne, auch er, mochte hundertmal durch die Höhle gegangen sein. Sie konnten nicht mehr warten. Jede Minute des Abwartens würde mehr an ihren Kräften zehren als eine Stunde des Marschierens. Welche Gefahren der Rückweg auch bergen mochte — sie konnten kaum schlimmer sein als die namenlosen Schrecken, mit denen ihr Unterbewußtsein das wogende Schwarz vor ihnen füllte. »In Ordnung«, sagte er. »Aber bleib zurück, bis du dich erholt hast. Del und ich werden vorausgehen. Haltet die Bögen bereit.« Er wandte sich um, rief Del mit einem stummen Blick zu sich heran und zog sein Schwert aus der Scheide. Aber das Gefühl der Sicherheit, das ihm das vertraute Gewicht der Waffe sonst immer vermittelte, blieb diesmal aus. Er wartete, bis Del langsam herangekommen war, und lächelte fast, als müsse er sich selbst Mut machen.
»Gehen wir.«
Del nickte wortlos. Sein linker Arm hing in einer Schlinge, die Coar provisorisch aus
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