Enwor 1 - Der wandernde Wald
Boden neben Mergells Leichnam dunkel färbte. Bernec schrie auf, sprang hoch und fuhr sich angeekelt durchs Gesicht. »Was ist los mit dir?!« zischte Skar. »Angst? Oder ekelst du dich nur? Schau dich ruhig um, Bernec. Was du siehst, ist nur ein kleiner Vorgeschmack von dem, was du erleben wirst. Das hier ist dein Weg, die Zukunft, die du deinem Volk zugedacht hast.«
Bernec wimmerte. »Hör auf«, keuchte er. »Hör auf, hör auf, hör auf. Ich…«
»Oh, nein«, sagte Skar. »Ich werde nicht aufhören. Ich habe noch nicht einmal richtig angefangen, Bernec. Du willst den Krieg. Die Revolution, Freiheit für dein Volk!
Dann sieh sie dir an, deine Freiheit!!!«
»HÖR AUF!!« kreischte Bernec mit überschnappender Stimme.
»Du widerst mich an. Du… du verdammtes Ungeheuer!«
Skar lachte, versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, der ihn erneut zu Boden stürzen ließ, und ging wortlos davon.
De Dunkelheit lastete wie eine schwarze, undurchdringliche Mauer vor den schmalen Fenstern. Auf dem Boden brannte eine kleine Öllampe, aber ihr Licht verbreitete keine Wärme, sondern nur trübe Helligkeit, die das finstere Schweigen ringsum noch zu vertiefen schien. Skar war lange durch Went geirrt, bis er schließlich hierher, zu Thorandas Haus, zurückgekehrt war. Das Gebäude erschien ihm größer und kälter als zuvor, ein gigantisches schweigendes Grab, noch einer von zahllosen Orten, die er betreten und über die er Tod und Leid gebracht hatte. Es war ganz egal, wohin er kam — alles, was er berührte, schien zu verderben, zu zerbrechen oder sich ins Gegenteil zu verkehren. Es hatte mit ihrem Marsch in die Wüste begonnen, aber erst jetzt begriff er, daß es kein Zufall war, sondern daß er einen bösen Fluch mit sich herumschleppte. Die Nonakesh hatte sie nicht freigelassen, sondern ausgespien, damit sie wie ein schleichendes Gift nach Cearn gelangen und das Werk vollenden konnten, das sie vor Jahrhunderten begonnen hatte.
Er sah auf, als ein Schatten über den geflochtenen Fußboden fiel. Es war Del.
Skar lächelte matt. »Hallo. Schön, daß du kommst. Ich habe kaum noch zu hoffen gewagt, daß überhaupt noch jemand mit mir redet.«
Del bewegte sich einen Schritt in den Raum hinein und blieb stehen. »Glaubst du wirklich, daß das nötig war?« fragte er leise.
»Nötig?« Skar überlegte einen Moment und zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Vielleicht. Vielleicht war es auch sinnlos.«
Del lächelte traurig. »Weißt du, was Bernec gerade tut?« fragte er.
Skar schüttelte erneut den Kopf. »Nein«, antwortete er, »und es interessiert mich auch nicht. Wir sollten verschwinden, Del. Sofort. Laß uns ein Pferd und Lebensmittel stehlen und fliehen.«
»Er hält Reden«, sagte Del, ohne seine Worte zu beachten. »Er hat ihnen alles erzählt. Von den Hogern, dem Fluß, Chaime… Er putscht sie auf.«
»So?« machte Skar desinteressiert. »Tut er das? Ich hatte gedacht, daß der Schock länger anhält.«
»Ich glaube, du verstehst mich nicht«, sagte Del eindringlich. »Dieser Narr ist dabei, ganz Went in einen Hexenkessel zu verwandeln. Wenn ihn niemand aufhält, hat er sie in zwei Stunden soweit, daß sie ihm begeistert nach Ipcearn folgen!« »Und was soll ich, deiner Meinung nach, dagegen tun?« fragte Skar ruhig. »Hinuntergehen und ihn auch noch erschlagen? Vielleicht auch gleich noch Nopath und die anderen?« Er seufzte. »Es ist zu spät, Del. Wir können nichts mehr tun. Gar nichts mehr. Die Dinge sind uns längst entglitten, wenn wir sie überhaupt jemals in der Hand gehabt haben. Das einzige, was uns noch bleibt, ist, zu verschwinden. Sofort. Ich will nicht auch noch mitansehen, wie dieses Volk zugrunde geht.«
»Dieses Selbstmitleid steht dir nicht«, murmelte Del.
»Selbstmitleid«, wiederholte Skar. »Vielleicht ist es das, mag sein. Aber ich will einfach nicht mehr, begreifst du das?«
»Du willst davonlaufen«, behauptete Del. »Du willst dich feige davonstehlen, das ist alles.«
Skar nickte. »Und wenn?«
Del verzog gequält das Gesicht. »Skar«, sagte er. »Ich… ich weiß, wie du dich fühlst. Aber wir können jetzt nicht gehen! Nicht in diesem Moment!«
»Und was schlägst du vor?« fragte Skar sarkastisch. »Soll ich mir eine goldene Rüstung anlegen und an der Spitze von Bernecs Heer gegen Ipcearn reiten? Ich bin sicher, daß wir siegen. Zwei so fabelhaften Kriegern wie uns dürfte das nicht schwerfallen, dieses alberne Baumhaus zu stürmen. Überhaupt kein
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