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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem ganzen Haufen scheinbar achtlos zusammengetragener Gegenstände lag, weniger aus wirklichem Interesse als aus dem Verlangen heraus, seine Hände und vor allem seine Gedanken zu beschäftigen.
    Skar registrierte verblüfft, wie schwer der unscheinbare Helm war. Er selbst hätte ihn auch mit Gewalt nicht über den Schädel bekommen, und auch kein anderer Krieger, den er kannte. Aber trotz seiner Kleinheit war er erstaunlich schwer.
    Skar drehte sich mehr zum Feuer hin und betrachtete den Helm genauer. Die feinen, mit unglaublicher Geduld in das harte Metall hineinziselierten Blumen- und Tiermuster, die Imitation einer Rattenschnauze auf dem Visier waren so akribisch ausgeführt, daß er in der flackernden Beleuchtung beinahe glaubte, einen echten Rattenschädel in Händen zu halten, komplett mit jedem winzigen Haar, jeder Unebenheit der Haut und den leicht einwärts gebogenen, tödlichen Fangzähnen. Er hatte nie eine schönere Arbeit gesehen, weder in einem weicheren Material noch in diesem schweren, harten Stahl, der fast so dick wie sein kleiner Finger war und auch einem mit aller Kraft geführten Keulenhieb widerstehen mochte. Er legte den Helm zurück und untersuchte Stück für Stück Brustpanzer, Schilde, Arm- und Beinschützer. Das Muster des Helmes wiederholte sich auf jedem Teil, selbst auf den Griffstücken der dünnen, biegsamen Säbel. Die Waldbewohner mußten eine unglaubliche Kunstfertigkeit in der Bearbeitung von Metall erlangt haben.
    Die Rüstungen kamen ihm vage bekannt vor. Er war sicher, noch nie eine so phantastische Arbeit zu Gesicht bekommen zu haben, und doch erweckte der Anblick der schmalen Panzer ein beklemmendes Gefühl des Vertrauten in ihm. Aber er wußte nicht, wo er das Gefühl unterbringen sollte.
    Das Geräusch leiser Schritte ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. Er drehte sich um und gewahrte Coar. Die Kommandantin hatte ihre Rüstung wieder vollständig angelegt und den Helm aufgesetzt, so daß von ihrem Gesicht trotz des hochgeklappten Visiers nur ein schmaler, dreieckiger Ausschnitt erkennbar blieb. Der Anblick verwirrte ihn. Das Rattenprofil war von den Schöpfern der Rüstung zweifellos gewählt worden, um Feinde zu erschrecken und von vornherein zu demoralisieren. Aber bei Coar bewirkte es jetzt, da er ihr Gesicht bereits kannte, das genaue Gegenteil. Die harten, aggressiven Linien unterstrichen ihre Weiblichkeit, statt sie zu verbergen. Coar bewegte sich langsam und scheinbar schwerfällig. Bei dem Gewicht der Rüstung schien es Skar erstaunlich, daß sie überhaupt gehen konnte. Sie mußte sehr stark sein, zumindest für eine Frau von ihrer Statur.
    Er bemerkte, daß sie seine Sandalen und den Brustharnisch über dem Arm trug. Die Rechte umklammerte den Griff des Schwertes.
    Sie näherte sich ihm bis auf Armeslänge, blieb stehen und sah ihn abschätzend an. Auf ihren Zügen spiegelte sich der innere Kampf, den sie durchstand.
    »Gibst du mir dein Ehrenwort, nicht zu fliehen?«
    Skar nickte wortlos.
    Coar legte mit unbewegtem Gesicht Sandalen, Harnisch und Schwert vor ihm ins Moos, wandte sich abrupt ab und ging eilig zu ihren Kriegerfinnen zurück.
    Skar sah ihr verblüfft nach. Es war nicht zu übersehen gewesen, wie schwer ihr die Entscheidung gefallen war. Um so überraschter war er, daß sie es trotzdem getan hatte. Schließlich war er ein Fremder für sie, ein Mann, der aus dem Nichts aufgetaucht war und dessen Ehrenwort vielleicht nicht mehr galt als der Schmutz unter seinen Fingernägeln. Und trotzdem hatte sie diese Entscheidung gewiß nicht aus Leichtsinn oder übertriebener Dankbarkeit getroffen. Ihr Benehmen hatte nichts mehr mit Dankbarkeit zu tun, auch nichts mit dem Respekt, den man einem Krieger zollt oder der Kameradschaft, die einem gemeinsam ausgefochteten Kampf entspringen mochte.
    Er klaubte seine Sachen vom Boden auf und begann sich umständlich anzukleiden. Der Harnisch schien Zentner zu wiegen. Die steinharten Kanten schrammten schmerzhaft über seine geschundene Haut, und die dünnen Nacken- und Rückenriemen schnitten wie winzige Messer ein. Er schlüpfte in seine Sandalen und zog anschließend zwei-, dreimal hintereinander rasch das Schwert aus der Scheide. Seine Muskeln hatten ihre gewohnte Geschmeidigkeit noch lange nicht zurück, und seine Reflexe schienen träge und langsam wie die eines Greises. Aber das vertraute Gewicht der Waffe an seiner Seite gab ihm etwas Sicherheit. Hätte er sie von Anfang an gehabt, dachte er düster, wären

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