Enwor 1 - Der wandernde Wald
die beiden Kriegerfinnen vielleicht noch am Leben.
Die Beerdigungszeremonie — wenn man überhaupt von einer solchen reden konnte
- war vorüber. Die Gräber waren schmucklos; zwei flache, lieblos festgestampfte Hügel, als hätte man einen toten Hund oder Abfälle begraben. Skar registrierte irritiert die gelöste, beinahe heitere Stimmung, die mit einemmal von den Amazonen Besitz ergriffen hatte. Sie redeten miteinander, lachten und riefen sich Scherzworte zu, wenn auch leise und verhalten. Es gab keine Spur von Trauer oder Schmerz auf ihren Gesichtern; nichts, was darauf hinwies, daß diese Frauen vor wenigen Augenblicken zwei Kameradinnen begraben hatten.
»Wir können aufbrechen«, sagte Coar leise, als sie seine Annäherung bemerkte. »Es ist nicht mehr weit bis Went, aber wir sollten uns beeilen, schon Dels wegen. Wir haben bereits viel zuviel Zeit verloren. Man wird sich um uns sorgen.«
Skar hielt ihr mit einem spöttischen Lächeln die Hände entgegen. »Wollt ihr mich wieder fesseln?«
»Das wird nicht nötig sein. Du hast mir dein Ehrenwort gegeben.« Coar wies mit einer Kopfbewegung auf die Pferde, die bereits unruhig wurden und offensichtlich genau wie ihre Reiter darauf warteten, endlich nach Hause zu kommen. »Wir haben ein überzähliges Pferd. Wenn du reitest, sind wir schneller. Du kannst reiten?«
Skar verzichtete auf eine Antwort und schwang sich statt dessen mit einer kraftvollen Bewegung in den Sattel. Ein grausamer, stechender Schmerz Schoß durch seinen Rücken und bestrafte die unbedachte Anstrengung, aber er ließ sich nichts davon anmerken.
Coar nickte, ging zu ihrem eigenen Tier hinüber und sprang ebenfalls in den Sattel. Wenige Augenblicke später brachen sie auf.
Sie erreichten Went bei Einbruch der Dämmerung. Während der letzten halben Stunde, die sie durch den Wald geritten waren, war Nebel aufgekommen; feuchte, träge Schwaden, die eine Handbreit über dem Boden lasteten und direkt aus der sumpfigen Erde emporzuquellen schienen. Menschen und Tiere waren schonnach wenigen Augenblicken bis auf die Haut durchnäßt. Die goldschimmernden Panzer der Mädchen glitzerten feucht, und der Dämpfende Nebel verlieh dem Hämmern der Pferdehufe einen seltsam dumpfen, weichen Nachhall, als ritten sie über Moos oder einen weichen, federnden Teppich. Der Boden war hier nicht mehr so fest wie bisher, und wenn Skar durch die wallende Nebeldecke auch nichts erkennen konnte, so war er doch sicher, durch Sumpf oder wenigstens Morast zu reiten. Er fror, aber das hatte nichts mit dem Nebel oder der Feuchtigkeit zu tun. Es war eine Kälte, die langsam aus seinem Inneren hervor und in seine Knochen und Muskeln kroch. Es fiel ihm zunehmend schwerer, aufrecht zu sitzen und die Augen offen zu halten. Sein Körper forderte nun endgültig das ihm Zustehende. Irgendwann, nachdem sie eine Ewigkeit durch eine bizarre Landschaft aus wallenden Nebelfingern und schwarzen Schattenbäumen geritten waren, begann sich der Horizont vor ihnen aufzuhellen. Coar hob die Hand, stieß einen scharfen Befehl aus und brachte ihr Pferd mit einem energischen Ruck am Zügel zum Halten. Auch die anderen blieben stehen. Nur Skar, der weder die Worte noch die begleitende Geste durch den Schleier von Müdigkeit, der sich über seinem Bewußtsein ausgebreitet hatte, richtig deutete, ritt noch ein ganzes Stück weiter und wäre an Coar vorbeigeritten, hätte nicht eine der Kriegerfinnen gedankenschnell nach seinen Zügeln gegriffen und den Kopf des Tieres zurückgerissen.
Skar kämpfte auf dem ungewohnt glatten Sattel eine halbe Sekunde lang um sein Gleichgewicht und nickte der Kriegerin dankbar zu. Sie erwiderte die Geste. Hinter den schmalen Sehschlitzen der Gesichtsmaske blitzte es spöttisch auf.
Coar wandte kurz den Kopf, sah Skar an und stieß dann einen hellen, an einen Vogelruf erinnernden Schrei aus. Sekundenlang wartete sie mit schräggehaltenem Kopf, dann wurde der Laut von irgendwo aus dem schattigen Dunkelgrün vor ihnen beantwortet. Wieder verging Zeit, vergingen vier, fünf oder mehr Minuten, in denen die gesamte Gruppe still und ohne den kleinsten Laut zu verursachen abwartete. Dann raschelte es im Unterholz vor ihnen, und eine schmale, in Grün und Braun gekleidete Gestalt erschien links von der Kommandantin. Coar beugte sich im Sattel vor und wechselte ein paar Worte mit dem Mann. Skar verstand nicht, worum es ging, aber die mißtrauischen und feindseligen Blicke, die ihm der Grüngekleidete zuwarf, sagten
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