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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hölzernen Turm, der selbst die höchsten Wipfel des Waldes um mehr als zehn Manneslängen überragte. Hinter dem niedrigen Eingang lag ein halbrunder, mit kostbaren Teppichen und Läufern ausgelegter Raum. An den Wänden hingen Bilder und schwere, in Stein gemeißelte Reliefarbeiten, die mit massiven Ketten an den Deckenbalken verankert waren. In der Mitte des Raumes stand ein schwarzer, steinerner Tisch, der wie eine vergrößerte Ausgabe des Tisches aussah, den er schon in Logars Haus gesehen hatte. Rings um die polierte schwarze Platte gruppierte sich ein gutes Dutzend geschnitzter Stühle, auf denen eine Anzahl ernst dreinblickender, in Uniformen und metallene Rüstungen gekleideter Männer saßen. Seshar selbst thronte am Kopfende der Tafel. Neben ihm saß eine grauhaarige, vollständig in Weiß gekleidete Frau — seine Gemahlin Ylara. Skar hatte sie bisher nicht kennengelernt, aber Mergell hatte ihm auf dem Weg hierher erklärt, daß König und Königin sich die Macht über Went zu gleichen Hälften teilten. Skar hoffte inständig, daß Ylara über die Zukunft ihres Volkes ebenso dachte wie ihr Gatte. Er warf Seshar einen raschen, fragenden Blick zu, doch das Gesicht des Königs blieb unbewegt und starr.
    Mergell schloß die Tür hinter ihm, eilte mit raschen Schritten zum Tisch hinüber und nahm auf dem einzigen verbliebenen freien Stuhl Platz. Für Skar gab es keine Sitzgelegenheit. Offensichtlich hatte er als Besucher zu stehen.
    Seshar winkte Skar auffordernd mit der Hand, näherzutreten. »Willkommen, Satai Skar«, sagte er förmlich. »Ich hoffe, du hast dich gut erholt. Ipcearn ist stets für jeden Gast geöffnet, doch wir haben nicht oft Gelegenheit, Fremde zu bewirten.« Skar nickte ebenso kühl, wie Seshars Worte gewesen waren. »Ich bin zufrieden, Majestät«, sagte er.
    Seshar lächelte flüchtig und wurde sofort wieder ernst. »Nun, da wir dem Protokoll Genüge getan haben, können wir vielleicht gleich zum eigentlichen Anlaß deines Besuches kommen, Satai Skar. Die Männer, die du hier versammelt siehst, sind die höchsten Würdenträger Cearns. Die Männer, die uns zur Seite stehen, um die Geschicke dieses Landes zu leiten.« Er stand auf, deutete nacheinander auf das Dutzend Männer rechts und links des Tisches und nannte ihre Namen. Skar rang sich ein halbherziges Lächeln ab und nickte den Würdenträgern der Reihe nach zu. Aber er machte sich nicht einmal die Mühe, sich ihre Namen zu merken. Er würde kaum lange genug auf Ipcearn bleiben, um mit irgendeinem von ihnen zu reden. Wenn alles so verlief, wie er es sich vorgestellt hatte, dann würde er das Schloß spätestens am nächsten Morgen verlassen; vielleicht schon heute.
    »Du weißt, warum ich dich rufen ließ«, begann Seshar, nachdem er die Vorstellung beendet hatte. »Ich habe dir bereits gestern abend unser Angebot — unsere Bitte —unterbreitet, doch ich ließ dir absichtlich Zeit bis heute, über deine Antwort nachzudenken. Hast du es getan?«
    »Ja, Seshar«, sagte Skar ruhig. »Das habe ich.«
    Eine spürbare Welle der Spannung schien durch den Raum zu laufen. Es war mit einem Male so still, daß er das dumpfe Pochen seines eigenen Herzens zu hören glaubte.
    »Wie lautet deine Antwort?« fragte Seshar. »Willst du bei uns bleiben und uns helfen, ein Volk von Kriegern zu werden?«
    Erneut versuchte Skar, auf Seshars Miene irgendein Zeichen seiner Gefühle zu entdecken, doch das Antlitz des alten Königs wirkte in diesem Moment wie aus Stein gemeißelt.
    »Das will ich«, sagte Skar.
    Jemand keuchte. Seshars Lippen zuckten überrascht, und seine Hände umklammerten die Lehnen seines Stuhles für einen Moment so fest, als wolle er sie zerbrechen. Mergell fuhr halb von seinem Sitz hoch und sank mit einem überraschten Laut wieder zurück, und der Ausdruck auf den Gesichtern der anderen wandelte sich von einem Moment zum nächsten von Mißtrauen und Abneigung in Bestürzung und Schreck.
    »Du… willst bleiben?« fragte Seshar stockend.
    Skar nickte. »Ja. Ich weiß, daß ich gestern anders geredet habe, doch das war vor meiner Unterhaltung mit Euch. Ich habe mir ein falsches Bild von Eurem Volk gemacht, König. Ein Fehler, den ich zu entschuldigen bitte.« Er stockte für einen Moment und sprach dann mit leicht veränderter Stimme weiter. Nicht lauter, aber mit einem kaum merklichen Unterton und mühsam zurückgehaltener Verachtung, eine Art zu sprechen, die der Mergells sehr nahekam. »Ich hielt Euer Volk für ein Volk von

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