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Enwor 10 - Die verbotenen Inseln

Enwor 10 - Die verbotenen Inseln

Titel: Enwor 10 - Die verbotenen Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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er.
    Skar sank langsam in die Knie. Schmerz und Schwäche waren so schlimm, daß er abermals das Bewußtsein zu verlieren drohte, und er wußte, daß Titch ihn töten würde, wenn das geschah.
    Und trotzdem war es nicht dieser Gedanke, der ihn in die Wirklichkeit zurückriß.
    Es war der Anblick der Truhe hinter dem Quorrl.
    Ihr Deckel stand offen und war fast auf ganzer Länge gespalten, und von ihrem Rand tropfte eine wasserklare, schleimige Flüssigkeit zu Boden. Neben ihr, im niedergetrampelten Gras, lagen die zerquetschten Überreste zweier grüngelber, kinderfaustgroßer Eier.
    Er hatte nicht geträumt.
    Er lag unweit der Stelle, bis zu der er dem
Daij-Djan
gefolgt war.
    Nicht im Traum.
    »Warum?« flüsterte Titch. »Ich habe dir vertraut, Satai. Ich habe dir vertraut wie nie zuvor einem anderen, und du —«
    »Er war es nicht, Titch«, sagte Kiina.
    Titch fuhr herum und starrte sie an, und auch Skar hob mühsam den Kopf und blinzelte zu dem Mädchen hinüber. Kiina war neben der aufgebrochenen Truhe auf die Knie gesunken und blickte aus ungläubig geweiteten Augen auf ihren Inhalt und das, was damit geschehen war. »Sieh doch!«
    Der Quorrl zögerte, machte eine unschlüssige, halbe Bewegung, wie um sich umzudrehen und zu ihr zu gehen, und starrte dann wieder auf Skar hinab. Seine Lippen bewegten sich, ohne daß Skar den mindesten Laut hörte, und seine gewaltigen Pranken zuckten, als könne er sich kaum noch beherrschen, ihn nicht zu packen und zu zerreißen.
    »Bitte, Titch«, sagte Kiina. »Komm hierher und sieh dir das an!«
    Diesmal reagierte der Quorrl. Zögernd ging er zu ihr hinüber, blieb stehen und beugte sich vor, um die Stelle zu betrachten, auf die ihre ausgestreckte Hand deutete. Dann erstarrte er.
    Skar stemmte sich hoch, machte einen Schritt und fiel wieder auf die Knie herab, ehe es ihm gelang, seinem geschundenen Körper so viel Kraft abzutrotzen, daß er sich die wenigen Schritte zu Kiina und dem Quorrl schleppen konnte — und vergaß zum zweiten Mal für Sekunden Schmerz und Schwäche, als er begriff, was Kiina entdeckt und Titch gezeigt hatte.
    In dem niedergetrampelten Gras neben der Kiste waren Fußspuren: seine, die Kiinas und die größeren, viel tieferen Abdrücke Titchs eisenbeschlagener Stiefel.
    Und eine vierte Spur.
    Sie war kleiner als selbst die Kiinas, und das feuchte Gras begann sich bereits wieder aufzurichten, denn der Körper, der sie hinterlassen hatte, war kaum schwerer als ein Kind gewesen. Und es war nicht die Spur eines Menschen, sondern der Abdruck eines kleinen, hornigen, harten Fußes mit nur drei Zehen, die in rasiermesserscharfen gebogenen Krallen endeten.
    Die Spur des
Daij-Djan.

» A lso?«
    Nur dieses eine Wort. Aber etwas in Titchs Stimme machte es zu mehr als einer Frage; selbst mehr als einem Befehl. Sie hatten kein Wort gesprochen, seit Kiina die Spur des
Daij-Djan
entdeckt hatte, sondern nur die Pferde gesattelt, ihr weniges Gepäck und die beiden kostbaren Truhen auf den Packtieren festgeschnallt und den improvisierten Lagerplatz verlassen, so schnell es nur ging; ein Ritt durch eine stockfinstere Nacht, den ihre Eile zu einer Flucht und das unwegsame Gelände zu einem halsbrecherischen Risiko gemacht hatten. Erst jetzt, als das kleine Waldstück meilenweit hinter ihnen lag und sie sich wenigstens der Illusion hingeben konnten, in Sicherheit zu sein, gestattete Titch ihnen, wieder langsamer zu reiten. Und erst jetzt stellte er die Frage, auf die Skar die ganze Zeit über mit klopfendem Herzen gewartet hatte.
    Und es war mehr als eine bloße Frage. Von Skars Antwort würde alles abhängen: Titchs weiteres Verhalten, mit Sicherheit Skars und vielleicht sogar Kiinas Leben; und möglicherweise das Schicksal ganz Enwors.
    Er antwortete nicht gleich, und Titch wiederholte seine Frage auch nicht, sondern sah ihn nur stumm und mit steinernem Gesicht an, aber in seinen Augen war eine Härte, die Skar niemals zuvor an ihm gesehen hatte. Zum allerersten Mal war er wirklich das, was die meisten Menschen unter dem Wort Quorrl verstanden: ein Killer. Ein Ding, noch nicht ganz Mensch, aber auch nicht mehr Tier, das nur aus Kraft und Zorn bestand und zu nichts anderem als zum Töten gemacht war. Plötzlich hatte Skar Angst vor ihm; vor der Veränderung, die mit ihm vonstatten gegangen war.
    Und doch war dies nicht der Grund, aus dem er nicht sofort antwortete. Er zögerte auch nicht etwa, um sich eine Ausrede einfallen zu lassen, obgleich er weiß Gott Zeit genug

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