Enwor 10 - Die verbotenen Inseln
Lebens zu bringen. Sie ist krank, ich weiß, aber nicht so krank, daß ein paar Wochen oder auch Monate einen Unterschied machen würden. Wenn wir gewinnen, kannst du sie immer noch holen lassen. Wenn nicht…« Er zuckte mit den Schultern. »… dann spielt es keine Rolle mehr, ob sie noch zehn oder fünfzig Jahre zu leben hat.«
Für einen Moment war die Verlockung fast übermächtig, Titchs Vorschlag nachzugeben. Seine Worte klangen so logisch, so zwingend einleuchtend, daß Skar für Sekunden kein Argument einfiel, sie zu entkräften. Dann schüttelte er den Kopf, einfach aus dem Gefühl heraus, daß es richtig war.
Titch seufzte. »Du —«
»Woher kommt diese plötzliche Sorge um das Mädchen?« unterbrach ihn Skar.
»Das Mädchen?« Titch lachte hart. »Das Mädchen interessiert mich nicht«, behauptete er, obwohl er selbst wissen mußte, wie durchsichtig diese Lüge war. »Du bist es, der mir Sorgen bereitet, du Starrkopf. Seit dieses Menschenjunge in deiner Nähe ist, bist du nicht mehr du selbst. Du wirst eine Dummheit begehen, wenn sie in Gefahr gerät. Und sie
wird
in Gefahr kommen, wenn wir sie mitnehmen, das verspreche ich dir.« Er deutete erregt nach Norden, wo sich die Umrisse der Berge bereits als mächtige schwarze Schatten aus der Dämmerung herausgeschält hatten. »Wir reiten geradewegs in eine Falle. Vor uns die Bastarde, hinter uns die Ssirhaa…« Er sprach nicht weiter, aber Skars Phantasie reichte durchaus, sich den Rest vorzustellen.
Trotzdem.
»Sie bleibt«, sagte er bestimmt.
» E s war richtig, daß du es nicht zugelassen hast«, sagte Kiina später, als er ihr von seinem Gespräch mit Titch erzählte. »Ich hätte diesem Fischgesicht die Augen ausgekratzt, wenn es mich weggeschickt hätte. Und dir auch«, fügte sie hinzu.
Sie wandte den Blick und sah Skar auf eine Art an, die Antwort erwartete; oder wenigstens ein Lächeln oder ein Verziehen der Lippen der Zustimmung, vielleicht auch nur ein Blick.
Skar tat nichts von alledem; zum einen aus Müdigkeit — es war jetzt fast Mittag, und sie ritten ununterbrochen, und in scharfem Tempo —, zum anderen, weil er Kiina nicht das Gefühl geben wollte, er hätte es um ihretwillen getan. In dem Moment, in dem er sich Titch gegenüber geweigert hatte, Kiina fortzuschicken, hatte er dies vielleicht sogar geglaubt, aber es war nicht die Wahrheit. Hätte er auch nur eine Sekunde an
sie
gedacht, hätte er getan, was Titch vorschlug, und sie weggeschickt, so schnell und so weit er konnte. Aber ihre Handlungen wurden schon lange nicht mehr von
Vernunft
gelenkt.
Er straffte die Schultern und sah mit einer demonstrativen Bewegung weg, um Kiina zu sagen, daß er nicht antworten würde. Er hatte keine Lust zu reden, weder mit ihr noch mit sonst irgend jemandem; vielleicht am
allerwenigsten
mit ihr.
Skar ritt ein wenig schneller, um an Titchs Seite zu gelangen, und deutete nach Norden, als er sein Pferd neben dem Quorrl zügelte und Titch aufsah. Der Quorrl trug wieder seine goldene Prachtrüstung, hatte aber den Helm nicht aufgesetzt. Er sah besorgt aus. Während Skar an Kiinas Seite geritten war, war ihm aufgefallen, daß Titch sich immer wieder im Sattel umgedreht und in die Richtung geblickt hatte, aus der sie gekommen waren. »Wie weit ist es noch?«
»Bis zu den Höhlen?« Titch zuckte mit den Schultern. »Einen halben Tagesritt. Vielleicht weniger. Wenn die Sonne untergeht, sind wir da.«
Wenn die Sonne untergeht — großer Gott, wie hatte sich alles geändert!
Skar war nicht sicher, ob er noch so lange durchhalten würde. Er war so müde. So unendlich müde.
»Wir wären schneller, wenn wir allein reiten würden.«
Titch reagierte nicht einmal mit einem Blick auf seine Worte, und Skar beeilte sich, hinzuzufügen: »Nur als Kundschafter, meine ich. Ich verlange nicht von dir, deine Männer zurückzulassen.
Die Bastarde werden nicht begeistert sein, wenn wir mit einem Heer vor ihrer Bergfestung erscheinen«, fügte er nach einer neuerlichen Pause hinzu, als Titch immer noch nicht antwortete. »Es ist keine Festung«, antwortete der Quorrl. »Und sie wissen längst, daß wir kommen.« Er rang sich ein flüchtiges Lächeln ab. »Sie wären vielleicht noch weniger begeistert, wenn sie annehmen müßten, daß wir ein falsches Spiel spielen. Und das würden sie, wenn sie sähen, daß wir fünfhundert Krieger zurücklassen und allein weiterreiten.«
Er hob die Hand und deutete nach Norden. »Siehst du den Berg dort — zwischen den
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